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Beruf und Arbeit |
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Beruf
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DER
LEHRERBERUF - EIN LEBENSLANGER BALANCEAKT!
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Zusammenfassung
des Referats von Beat W. Zemp, Zentralpräsident LCH
zur
Eröffnung der Impulstagung vom 9. Dezember 2006 im Kursaal Bern |
Es
gibt sehr viele Untersuchungen über die sinkende Gesundheit von Schulkindern,
über die Risikofaktoren von Adipositas im Schulalter oder über
den Konsum von Alkohol und Drogen im Jugendalter. Und es gibt ebenso viele
Präventionsprogramme und Projekte, um die Gesundheit von Kindern und
Jugendlichen zu verbessern.
Die Alles-Heilanstalt namens Schule soll dabei
wieder mal richten, was die Gesellschaft und die Erziehungsberechtigten
versäumt haben. Die Liste ist lang, von A wie Antiraucherkampagne
bis Z wie Zähneputzen, und sie fordert und überfordert immer
mehr Lehrpersonen, so dass nun seit einigen Jahren auch die sinkende Gesundheit
von Lehrpersonen bis hin zum Burnout ein Thema ist.
Zwar gibt es auch in
vielen anderen Berufen hohe Anforderungen, die ein grosses Mass an Flexibilität
und persönlichem Engagement voraussetzen. Aber der Lehrberuf zeichnet
sich zusätzlich durch eine ganze Reihe von Dilemma-Situationen aus,
die nicht grundsätzlich lösbar sind, sondern die wir Lehrpersonen
im besten Fall etwas entschärfen können, um sie dann besser auszuhalten.
Und dazu müssen wir die Balance zwischen den grundsätzlich unvereinbaren
Ansprüchen in solchen beruflichen Dilemmas finden und halten - ein
ganzes Berufsleben lang, um gesund und produktiv zu bleiben. Dass mehr
als 700 Lehrpersonen diese Veranstaltung an einem schulfreien Samstag besuchen,
zeugt vom professionellen Bewusstsein der Teilnehmenden über ihr gesamtheitliches Lebensmanagement, ihre Work-Life- Balance.
Helden
des Alltags |
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Wir
kennen alle das berühmt-berüchtigte Inserat "Be a hero be a teacher!",
mit dem in den Neunziger Jahren in den USA versucht wurde, neue Lehrer
zu rekrutieren. In der Zwischenzeit ist dieses Heldenimage auch in Europa
angekommen.
Der deutsche Bundespräsident hat am 21. September 2006
in seiner Berliner Rede gesagt: "Engagierte Lehrerinnen und Lehrer, die
nicht aufgeben, die darauf brennen, jungen Menschen etwas beizubringen
- das sind für mich Helden des Alltags." Und der schweizerische Bundespräsident
doppelte in seiner Rede am SP-Parteitag vor einer Woche nach: "Die soziale
Integration stellt viele die im Schulbereich arbeiten, vor ganz grosse
Schwierigkeiten. Sie haben sich stark gemacht für Integration der
Schweizerkinder und der ausländischen. Heute müssen sie sich
mit Mobbing und sexueller Gewalt auseinandersetzen, obwohl deren Ursachen
nicht in der Schule zu suchen sind."
Lehrerinnen und Lehrer dürfen
sich nicht für alles, was in der Schule, Familie und Gesellschaft
schief läuft, verantwortlich fühlen, sondern müssen auch
Aufgaben zurückweisen und zusätzliche Ressourcen verlangen. Denn
für viele Lehrpersonen ist die Belastungsgrenze heute erreicht, für
einige bereits überschritten. Und da helfen solche präsidialen
Anerkennungen oder Appelle, wie der berühmte Spruch von Bill Clinton
"To be a teacher is for ever to be an optimist" auch nicht wirklich weiter.
Chronische
Spannungsfelder im Lehrberuf |
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Wo
sind denn die wichtigsten Dilemmas, die wir als Lehrpersonen ein Leben
lang aushalten müssen? Ich möchte einige typische Beispiele aus
meiner eigenen, nun bald dreissigjährigen Erfahrung als Lehrer und
Pädagoge, als Gewerkschafter und Standespolitiker aufzählen und
diese in drei Bereiche gruppieren:
Ich und meine Klasse
Wir und unsere Schule
Bildungspolitik und Gesellschaft
Als
Lehrperson muss ich jeden einzelnen Lernenden wahrnehmen, bestmöglich
fördern und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Klassenziele
erreicht werden.
Ich muss die Lernfortschritte bei jedem Schüler einzeln
dokumentieren, die Leistungen gleichzeitig aber auch am Klassendurchschnitt
orientieren.
Als Lehrer bin ich für die Lernenden Trainer, Prüfer
und Schiedsrichter in Personalunion und vergrössere oder verkleinere,
ob ich es will oder nicht, die Lebens- und Ausbildungsmöglichkeiten
meiner Schülerinnen und Schüler durch Selektions- und Promotionsentscheide,
durch Er- oder Entmutigungen.
Ich signalisiere zwar jedem Lernenden eine
persönliche Wertschätzung und reagiere mit verständnisvoller
Empathie auf Probleme, muss gleichzeitig aber auch dafür sorgen, dass
mir die Führung der ganzen Klasse nicht aus den Händen entgleitet
und ich für alle den gleichen Tarif bei problematischem Verhalten
durchsetzen kann.
Auf
der Schulebene sorge ich dafür, dass die Grundwerte unserer Schule
eingehalten werden, ohne aber deswegen die grundsätzliche Wertepluralität
und meine eigenen Wertvorstellungen ausser Acht zu lassen.
Als Teil des
Kollegiums beteilige ich mich an den Entwicklungsarbeiten meiner Schule,
auch wenn im Bereich "Ich und meine Klasse" die Jahresarbeitszeit schon
weitgehend erfüllt ist und die Erwartungen und die Anforderungen an
meinen Unterricht ständig steigen.
Als
Mitglied der Gesellschaft setze ich mich für die Schulen und das Bildungswesen
ein, und bekomme als "Dank" die immer gleichen Vorurteile über meinen
Beruf zu hören nach dem Motto: Lehrer haben am Morgen Recht und am
Nachmittag frei. Viele Bildungspolitiker beschwören zwar die Wichtigkeit
unseres Berufes, scheuen sich aber gleichzeitig nicht, die Arbeits- und
Anstellungsbedingungen weiter zu verschlechtern statt sie endlich wieder
zu verbessern.
Die Schere zwischen Aufgabendelegation an die Schule und
den konkreten Arbeits- und Unterrichtsbedingungen vor Ort öffnet sich
immer mehr. Die Dilemma- Beispiele liessen sich in allen drei Bereichen
noch lange fortsetzen.
Gesundheitsförderung
im Lehrberuf - gemeinsam statt einsam |
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Ein
altes Sprichwort sagt, man dürfe ein Schiff nicht an einen einzigen
Anker und das Leben nicht an eine einzige Hoffnung binden! Wer als Lehrperson
ausschliesslich für den Beruf lebt, tut sich, seiner Familie und nicht
zuletzt auch seiner Schule auf Dauer keinen guten Dienst. Daher sollte
man das Leben so strukturieren, dass genügend Ausgleich möglich
ist. Man muss sich Zeit für Dinge nehmen, die einem Spass machen können
und nicht kommerziell oder rein zweckgesteuert sind. Letztlich ist eine
Verhaltensmodifikation auf verschiedenen Ebenen angesagt (Lebensstil, Bewegung,
Einstellung, soziale Beziehungen, Ernährung).
Die Potsdamer Lehrerstudie
von Professor Uwe Schaarschmidt zeigt eindrücklich, wie die persönlichen
Bewältigungsmuster im Lehrberuf in Kategorien eingeteilt werden können,
wo die Risikofaktoren sind und wie eine konsequente Ressourcenorientierung
aussehen muss, um den Lehrberuf ein Leben lang gesund ausfüllen zu
können. Dieser Lernprozess lässt sich mit Vorteil zusammen mit
anderen Kolleginnen und Kollegen und im Verbund mit anderen Schulen, beispielsweise
im schweizerischen Netzwerk Gesundheitsfördernder Schulen angehen.
Denn wer als Lehrperson selber eine gute Work-Life-Balance - auf der Grundlage
einer guten Work-Work-Balance! - erreicht hat, kann diese Grundhaltung
auch besser an die Schülerinnen und Schüler weiter geben.
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Der
LCH nimmt die Herausforderung an |
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Seit
seinem Bestehen geht der LCH bei allem, was er tut, was er unterstützt,
fordert oder bekämpft, von der Grundhaltung der "Professionalisierung"
des Lehrberufs aus. Damit ist dreierlei gemeint:
1.
Wir anerkennen, dass die uns von der Gesellschaft übertragenen Aufgaben
nicht widerspruchsfrei sind, sondern Dilemmasituationen beinhalten.
2.
Wir bemühen uns, unseren Teil der Bildungs-, Erziehungs- und Schulentwicklungsarbeit
als Lehrende zu leisten - nach anerkannten Regeln und im Rahmen des Gesamtauftrags.
3.
Wir fordern, dass auch die Auftraggeber auf allen Stufen ihren Teil zu
den Gelingensbedingungen für einen guten Unterricht beitragen. Als
Professionelle wehren wir uns dagegen, freiwillig mitzuarbeiten in Projekten
ohne genügende Ressourcen oder bei denen ein Scheitern absehbar ist.
Alle
drei Kernsätze setzen voraus, dass Lehrerinnen und Lehrer sich kompetent
und stark fühlen. Viele von uns neigen von ihrer Berufung her dazu,
auch "unter Tarif" zu arbeiten. Das mag zwar pädagogisch edel sein,
schadet aber auf Dauer sowohl der Qualität der Auftragserfüllung
wie auch der eigenen Gesundheit. Gesunde und starke Lehrpersonen brauchen
solche überfordernden Selbstbemogelungen nicht für ihr Wohlbefinden!
Die Angebote dieser Fachtagung, die Referate und Ateliers mögen dazu
beitragen, dieses "Empowerment", diese Selbstbefähigung und Stärkung
von Autonomie und Eigenmacht zu unterstützen und zu befördern.
Bereits
zum dritten Mal hat der LCH eine repräsentative Erhebung über
die Berufszufriedenheit der Lehrerinnen und Lehrer in der deutschen Schweiz
durchgeführt. Charles Landert und Anton Strittmatter werden darüber
noch berichten. Aus diesem "Personalmonitoring" entstehen wichtige Grundlagen
für die Personalführung im Bildungsbereich. Und damit ist auch
gesagt, dass die Arbeitgeber in der Pflicht stehen, wenn es darum geht,
die Erkenntnisse aus diesem Personalmonitoring umzusetzen Angesichts der
Tatsache, dass in den nächsten zehn Jahren je nach Stufe bis zu einem
Drittel aller Lehrpersonen pensioniert werden, werden wissenschaftliche
Erkenntnisse zur Work Life Balance und zur Berufszufriedenheit von Lehrerinnen
und Lehrern noch viel mehr Gewicht bekommen.
Aus
Sicht des LCH können wir aus den jetzt vorliegenden Befunden und Erfahrungen
der letzten Jahre bereits drei wichtige Folgerungen ziehen:
Um
die pädagogischen Herausforderungen und die Erziehungsdefizite in
vielen Elternhäusern auch nur einigermassen zu meistern, brauchen
wir deutlich bessere Arbeitsbedingungen, mehr pädagogisch und psychologisch
geschultes Personal und mehr Angebote für Tagesstrukturen und Ganztagesschulen.
Nur so kann die Betreuung von Kindern und Jugendlichen verbessert werden.
Um
den Lehrberuf an die veränderten Umstände anzupassen, müssen
wir ihn neu definieren und dabei endlich die Polarität zwischen Berufsethos
und pädagogischem Mythos überwinden. Der LCH ist zur Zeit daran,
ein realistischeres und damit professionelleres Berufsverständnis
zu definieren und wird dazu ein neues Berufsleitbild in eine breite Vernehmlassung
geben.
Angesichts der vorliegenden Untersuchungen und der zunehmenden Bedeutung
des Themas "Balancieren im Lehrberuf" muss die Gesundheitsförderung
ein neues und wichtiges Aufgabengebiet des LCH werden. Der Bayerische Lehrerinnen-
und Lehrerverein hat vor einem Jahr das Institut für Gesundheit in
pädagogischen Berufen gegründet und leistet damit als Selbsthilfeeinrichtung
der Lehrerschaft wertvolle Pionierarbeit.
Der LCH hat schon ein bisschen
früher geschaltet und sich als Vertragspartner am Kompetenzzentrum
RessourcenPlus der Fachhochschule Nordwestschweiz beteiligt. Dieses Institut
hat seinen Arbeitsschwerpunkt bei Forschungen und Dienstleistungen zur
Lehrerinnen- und Lehrergesundheit. Eine Kostprobe haben Sie in der Serie
"Heiter und gesund" in den letzten Nummern von "Bildung Schweiz" degustieren
können.
Ein
letzter Gedanke ist mir wichtig, bevor ich zur Danksagung komme: Ein tragfähiges
professionelles Selbstverständnis hängt wesentlich davon ab,
ob eine Lehrperson die Balance zwischen pädagogischem Idealismus und
schulischer Realität herstellen kann. Stimmt diese Balance, dann kann
der Lehrberuf erfüllend und befriedigend sein. Stimmt sie nicht, kann
der Beruf aber auch in Resignation und Krankheit führen. Es geht also
keinesfalls darum, über die Gesundheitsgefährdungen in diesem
Beruf nur öffentlich zu lamentieren und damit einen ganzen Berufsstand
zu pathalogisieren. Ganz im Gegenteil: Eine gesunde, leistungsfähige
und optimistische Lehrerschaft ist und bleibt der wichtigste Erfolgsfaktor
für eine Bildungspolitik, die von der Schule sowohl Spitzenresultate
als auch mehr Chancengerechtigkeit will.
Quelle:Text
Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH, Dezember 2006 |
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LCH - Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer |
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