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Klimawandel: Gemeine Strandkrabben - Tod im Ei
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Als Embryos haben Gemeine Strandkrabben dem Klimawandel nichts entgegenzusetzen

Der Tod im Ei

Gemeine Strandkrabben gehörten bisher zu jenen Tierarten, von denen Wissenschaftler glaubten, der Klimawandel könne ihnen kaum etwas anhaben. Ein Grund: Die Scherenträger sind, was Temperatur betrifft, nicht wählerisch und fühlen sich im acht Grad kalten Atlantik ebenso wohl wie im 20 Grad warmen Mittelmeer.

Eine Studie deutscher und italienischer Wissenschaftler belegt nun jedoch, dass Strandkrabben zu einem bestimmten Zeitpunkt ihres Lebens ausgesprochen empfindlich auf Temperatursprünge reagieren - als Embryo im Ei. Ist der Krabbennachwuchs in seiner ersten Lebensphase zu grosser Wärme ausgesetzt, beginnt im Ei eine tödliche Kettenreaktion.

Die Fischer in der Lagune von Venedig fangen Strandkrabben am liebsten kurz nachdem sich die Tiere gehäutet haben. Der neue Panzer der Scherenträger ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgehärtet, das Pulen der Krabben daher ein Kinderspiel. Ein Kilogramm Strandkrabben kostet auf Venedigs Fischmärkten zwischen 60 und 70 Euro. Die Krabben gelten also ohne Weiteres als Delikatesse.

Ob es angesichts des Klimawandels jedoch auch in Zukunft genügend Strandkrabben in der Lagune von Venedig geben wird, darüber hat sich bis vor Kurzem niemand so richtig Gedanken gemacht. Denn Carcinus maenas, so der lateinische Name der Gemeinen Strandkrabbe, zeigte sich bisher in Sachen Wohlfühltemperatur ausgesprochen flexibel.

Die etwa handteller-grossen Krabben leben sowohl an der kalten Atlantikküste Norwegens und Nordamerikas als auch im vergleichsweise warmen Mittelmeer - wobei die Fischer Venedigs der Schwesternart Carcinus aestuarii nachstellen. "Beide Arten sind so eng miteinander verwandt, dass sie sich durchaus auch paaren und gemeinsame Nachkommen zeugen", sagt der italienische Biologe Dr. Folco Giomi.

Er und Kollegen haben im Zuge eines Gastaufenthaltes am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft untersucht, ob die Mittelmeer-Strandkrabbe Carcinus aestuarii Hitzeperioden wirklich so schadlos übersteht, wie bisher angenommen wurde. Fündig wurde das deutsch-italienische Wissenschaftlerteam dabei beim Krabbennachwuchs. "Die Weibchen der Mittelmeer-Strandkrabbe legen ihre Eier nicht auf den Grund der Lagune, wo das Wasser vergleichsweise kühl ist", sagt Folco Giomi. Stattdessen tragen die Tiere ihren Nachwuchs in den ersten Tagen auf dem Rücken und nehmen ihn mit zur Futtersuche in das Flachwasser.

Ein heikler Schritt, denn: Erwärmt sich zum Zeitpunkt des Laichens die Mittelmeerregion aufgrund einer Hitzewelle, steigt vor allem die Temperatur des Flachwassers sprunghaft an. "Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass schon ein Anstieg der Wassertemperatur von 16 auf 24 Grad Celsius genügt, um die Embryos in den Eiern in ernsthafte Gefahr zu bringen", erklärt der Wissenschaftler. So würden die jungen Krabben versuchen, der Wärme zu trotzen, indem sie ihren Stoffwechsel um das Neunfache beschleunigen. Die Folge: In Windeseile verbrauchen die Tiere alle Energiereserven im Ei. "Unter solchen Bedingungen kann sich der Krabbenembryo nicht normal entwickeln. Er stirbt", sagt Folco Giomi.

Dieses alarmierende Verhalten konnte das Wissenschaftlerteam allerdings nur bei Embryos nachweisen, die sich in den ersten zwei von vier Entwicklungsphasen befanden. Ein Stadium, in dem der Nachwuchs kaum mehr darstellt als einen Haufen Zellen. "Ab der dritten Entwicklungsstufe gelang es den Embryonen dann, ihren Stoffwechsel abzubremsen und sich wie ein ausgewachsenes Tier auf die gestiegene Umgebungstemperatur einzustellen. Diese Beobachtung war ganz neu für uns und hat uns sehr beeindruckt", erzählt Folco Giomi.

Bei dieser Erkenntnis allein aber wollten es die Wissenschaftler nicht beruhen lassen. Zu viele Fragen knüpften sich an - zum Beispiel jene, ob aussergewöhnliche Hitzewellen auch schon in der Vergangenheit Spuren im Krabbenbestand hinterlassen hatten? Dazu verglichen die Forscher die Krabben-Fangdaten der venezianischen Fischer aus den Jahren 1940 bis 2009 mit den Wetterdaten jener Zeit. "Bei diesem Vergleich stellten wir fest, dass die Fischer die Folgen einer aussergewöhnlichen Hitzewelle zur Laichzeit sehr wohl zu spüren bekommen - allerdings immer erst zwei Jahre später, also dann, wenn jene Krabben, die als Embryonen gestorben waren, eigentlich selbst hätten Eier tragen sollen. Die Tiere benötigen nämlich genau diese zwei Jahre, um vom Jungtier zur geschlechtsreifen Krabbe heranzuwachsen", sagt Folco Giomi.

Er und sein deutscher Kollege Prof. Hans-Otto Pörtner ziehen aus diesen Forschungsergebnissen zwei Schlussfolgerungen. "Die Studie zeigt zum einen, dass im Zuge des Klimawandels auch jene Arten betroffen sind, die über ein vergleichsweise grosses Temperaturfenster verfügen. Dies gilt wohl immer in Gebieten, in denen sie die Grenzen ihrer temperaturabhängigen Verbreitung erreichen", sagt Hans-Otto Pörtner, Leiter der Arbeitsgruppe Integrative Ökophysiologie am Alfred-Wegener-Institut. "Diese Erkenntnis ist wirklich wichtig", fügt Folco Giomi hinzu: "Wenn wir nämlich davon ausgehen müssen, dass in einigen Regionen im Zuge des voranschreitenden Klimawandels selbst temperatur-robuste Arten wie die Strandkrabbe nur noch in kleineren Mengen vorkommen, haben Arten mit einer höheren Temperaturempfindlichkeit noch schlechtere Zukunftsaussichten."

Zum anderen müssten Wissenschaftler und Fischer die Ergebnisse zum Anlass nehmen, über eine nachhaltige, dem Klimawandel angepasste Krabbenfischerei-Strategie nachzudenken. "Die im Mittelmeer lebenden Strandkrabben sitzen angesichts der zunehmenden Erwärmung in einer geografischen Sackgasse. Sie finden bei Hitzewellen nur noch selten Rückzugsräume, weshalb wir nicht ausschliessen können, dass die Art in einigen Regionen aussterben wird", sagt Hans-Otto Pörtner.

Die Fischer von Venedig können laut Folco Giomi einen Beitrag dazu leisten, diese Entwicklung in ihrer Lagune hinauszuzögern. Giomi: "Wann immer zur Laichzeit der Krabben eine Hitzewelle über die Mittelmeerregion rollt, sollten die Fischer sich diese im Kalender notieren und darauf achten, dass sie zwei Jahre später nur wenige oder keine Tiere fangen."

Originalveröffentlichung:

F. Bartolini, A. Barausse, H-O. Pörtner, F. Giomi (2012): Climate changes reduces offspring fitness in littoral spawners: a study integrating organismic response and long-term series und ist im Fachjournal Global Change Biology erschienen. (doi: 10.111/gcb12050)

Quelle: Text Alfred-Wegener-Institut AWI , 2012

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