Im Vergleich zu den anderen Lebensräumen fällt die Bilanz zwar besser aus: Die im Wald lebenden Arten sind im allgemeinen weniger bedroht als die Arten der anderen Ökosysteme der Schweiz. Trotzdem ist die Lage nicht befriedigend, denn viele der früher häufigen Arten sind seltener geworden, während ursprünglich seltene, aber verbreitete Arten nur noch in isolierten Restpopulationen vorkommen. Bei vielen Arten
sterben Populationen ganz aus, oder sie schrumpfen. Dadurch erfahren die
betroffenen Tier- oder Pflanzenarten in ihrem Verbreitungsgebiet insgesamt
eine Ausdünnung. Die Isolierung von kleinen Restpopulationen in ökologisch
ungenügend vernetzten Wäldern kann die genetische Vielfalt verringern,
auch wenn dies in den meisten Fällen nicht nachgewiesen ist. Auf's
Ganze gesehen lässt sich festhalten, dass es auch im Wald an jener
Lebensraumvielfalt fehlt, die zur langfristigen Erhaltung der immer noch
grossen Arten- und Rassen-Vielfalt Voraussetzung ist.
Die Ursachen für die teilweise verschlechterten Lebensbedingungen vieler Waldarten sind hauptsächlich: 1. Verlust artenreicher Waldtypen und Bewirtschaftungsformen Verschiedene früher weit verbreitete natürliche Waldgesellschaften auf extremen, vor allem nassen Standorten sind nach den grossen Meliorationen und Rodungen in den Flusstälern sehr selten geworden, z.B. Auen- und Bruchwälder. - Die traditionell dynamisch bewirtschafteten und deshalb besonders artenreichen Waldtypen, wie der Nieder- und Mittelwald, wurden fast über all aufgegeben. 2. Verdunkelung und Struktur-Armut vieler Wälder Die Wälder sind insgesamt dunkler geworden und überweite Flächen einförmig aufgebaut. Die Gründe sind die Zunahme der Holzvorräte, verursacht durch die rückgängige Holznutzung und die über höhten Stickstoffeinträge, bzw. die seit überhundert Jahren dominierende Hochwaldbewirtschaftung. Es gibt zuwenig Verjüngungsflächen, und die artenreichen Altersphasen des Waldes sind gar nicht oder nur schwach vertreten. Insgesamt weist der Wald zuwenig ökologische Nischen auf, seine strukturelle Vielfalt zu klein. Vor allem die licht- und wärmeliebenden Pflanzen und Tiere leiden darunter. 3. Monotone Baumartenmischungen über weite Gebiet dominieren eintönige Baumartenmischungen, und vor allem im Mittelland sind immer noch viele Laubholzstandorte über wiegend mit Fichten bestockt. Die maximalen Koniferenanteile sind meistens nicht optimal auf die ökologischen Standortsverhältnisse und die dominierende Waldfunktion abgestimmt. Für die Biodiversität wäre ein Mosaik wichtig, das einerseits aus vielfältigen, vom Menschen geförderten Baumartenmischungen besteht, und andererseits aus grossflächigen Reinbeständen der natürlich- dominierenden Bäume, wie z.B. der Rotbuche im Mittelland. 4. Zu wenig Alt- und Totholz Der Anteil des Totholzes ist aus verschiedenen Gründen gestiegen: Dank der Anstrengungen vieler Förster, als Folge der Stürme Vivian und Lothar, sowie wegen der allgemeinen Unternutzung der Wälder. Trotzdem ist sein Anteil am gesamten Holzvorrat mit 3,3% immer noch zu tief und stellt vor allem im Mittelland eines der grössten ökologischen Defizite im gut erschlossenen Wirtschaftswald dar, wo der Totholzvorrat nur 4,9m3/ha beträgt, gegenüber19,5m3 in den Alpen (Zahlen nach LFI 2, 1993-95). Vor allem fehlen in vielen Wäldern stehende tote Bäume. Damit fehlen optimale Lebensgrundlagen für zahlreiche alt- und totholzabhängige Organismen, vor allem für rund 1500 Pilze und 1340 Käfer, aber auch für Vögel, Fledermäuse und Kleinsäuger. 5. Monotone Waldränder Gerade die potenziell ökologisch besonders wertvollen über gangsbiotope wie die inneren und äusseren Waldränder besitzen oft nur eine geringe Vielfalt an Gehölzarten und Strukturen: nur 30% der Waldränder haben einen hohen ökotonwert. Damit erfüllen sie nur unzureichend ihre Funktion als Lebensraum und als ökologische Schnittstelle mit den Lebensräumen der offenen Landschaft. 6. Mangelnde Vernetzung Die meisten Wälder sind nur unzureichend oder gar nicht miteinander und mit den Lebensräumen der offenen Landschaft ökologisch vernetzt. Auch innerhalb des Waldes ist die Vernetzung von besonderen Lebensräumen, z.B. von Altholzinseln und Tierpopulationen (z.B. Auerhuhn), oft nicht gewährleistet. Waldstrassen stellen für bestimmte Lebewesen zusätzliche innere Barrieren dar. 7. Zunehmende Störungen Die zunehmende Nutzung der Wälder als Erholungsraum durch Spaziergänger, Wanderer, Reiter und andere Sportler verursacht vor allem in den Ballungsräumen und in Tourismusgebieten Störungen, die für sensible spezialisierte Arten eine Verschlechterung der Lebensbedingungen bedeuten.
Für die Zukunft ist mit folgenden Entwicklungen zu rechnen, die sich ohne entsprechende Gegenmassnahmen meist negativ auf die Biodiversität im Wald auswirken werden: 1. Weitere Zunahme der Waldfläche in den Bergen, vor allem in den Südalpen, den Alpen und im Jura. Der Hauptgrund für diese Entwicklung liegt in der Aufgabe vieler Alpweiden. Folgen für die Biodiversität: Die Zunahme der Waldfläche ist an sich erfreulich, wird aber dort zum Problem, wo der Wald sich auf Kosten von artenreichen Ökosystemen ausdehnt, wie Trockenrasen, Magerweiden und Waldweiden. Gerade die halboffenen Waldlandschaften sollen aber erhalten werden, weil sie auf engem Raum eine Vielzahl von über gangsbiotomen enthalten. 2. Zunehmender Erholungsdruck Die Nutzung des Waldes durch Erholungssuchende und Sportler aller Art wird noch zunehmen und sich auf die abgelegeneren Wälder ausdehnen. Folgen für die Biodiversität: Auch die bisherigen Rückzugsgebiete von sensiblen störungsanfälligen Arten, v.a. Tieren, werden stärker als bisher gestört werden. 3. Mangelnde Bewirtschaftung des Waldes Auch in Zukunft wird ein grosser Teil des Schweizer Waldes nicht oder nur wenig bewirtschaftet bzw. gepflegt werden (nach LFI 2 ist auf 13% der Waldfläche seit über50 Jahren nicht mehr eingegriffen worden, in den Alpen sind es 19% und auf der Alpensüdseite sogar 41%; ). Folgen für die Biodiversität: Gebietsweise ist mit einer weiteren Verdunkelung der Wälder, mit einem Rückgang von reich strukturierten Wäldern und mit einer ungenügenden Verjüngung zu rechnen. Das bedeutet eine weitere Verschlechterung der Lebensbedingungen für licht- und wärmeliebende Arten. Erst mittel- bis langfristig könnten sich auch positive Auswirkungen bemerkbar machen, nämlich dann, wenn der Totholzanteil ansteigt und viele Bäume ihr biologisches Alter erreichen, zerfallen und der nächsten Baumgeneration Platz machen. 4. Spardruck in der Waldwirtschaft Die systematische Berücksichtigung der Biodiversitätsförderung in der Waldbewirtschaftung ist eine anspruchsvolle neue Aufgabe, welche die Förster zusätzlich fordert und belastet. Folgen für die Biodiversität: Damit der Forstdienst diese Aufgabe erfüllen kann, muss er entsprechend ausgebildet sein, was nur teilweise der Fall ist. Ausserdem muss er über ausreichend Personal verfügen, was unter den gegenwärtigen finanziellen Bedingungen nicht einfach ist. 5. Klimaveränderungen und anthropogene Belastungen Die zunehmende Erwärmung der Erdatmosphäre mit all ihren Auswirkungen ist eine Tatsache, ebenso die auch in naher Zukunft über mässige Belastung mit Stickstoff und hohen Ozon- Konzentrationen. Folgen für die Biodiversität: Die Klimaeerwärmung beeinflusst auch die biologische Vielfalt im Wald. Erste mögliche Anzeichen dafür gibt es bereits, z.B. das Föhrensterben im Wallis. Die über düngung unserer Wälder mit Stickstoff sowie der CO2-Anstieg in der Atmosphäre bedeuten eine Veränderung des Nährstoffhaushaltes, welche die Lebensund damit die Konkurrenzbedingungen der Wald-Lebewesen nachhaltig verändern und sich immer stärker im Artengefüge niederschlagen wird. Auch die Ausbreitung von Exoten kann lokal durch diese Veränderungen auf Kosten der einheimischen Flora und Fauna gefördert werden.
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