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Korallenriffe
Kaltwasserkorallen-Riff in Norwegen
Von Maike Nicolai, GEOMAR

Kaltwasserkorallen: Die heimlichen Schönheiten der Tiefe

Korallen - noch immer ruft ihre Erwähnung Bilder von lichtdurchflutetem, klarblauem Wasser vors innere Auge.

Neben den bunten Riffen der Tropen, in denen exotisch gemusterte Fische mit den Blumentieren in ihrer Farbpracht wetteifern, gibt es Arten, die ihre Schönheit im Verborgenen entfalten: Kaltwasserkorallen leben in bis zu tausenden Metern Tiefe und bei einstelligen Wassertemperaturen.

Eine faszinierende Welt, die jedoch vom Klimawandel bedroht sein könnte.

Wissenschaftler des GEOMAR erforschen, wie Lophelia pertusa auf den Klimawandel reagiert

Dunkelgrau kräuselt sich das Wasser im Trondheimfjord. Der Wind treibt den Nieselregen quer über die kleine Insel Nord-Leksa. Seit zwei Tagen liegt das Forschungsschiff POSEIDON in dem Archipel vor Anker. Wissenschaftler aus Deutschland, den Niederlanden und Grossbritannien erkunden eine Welt, von deren Existenz die Meeresoberfläche nichts verrät. "Ihr erforscht die Korallen", fragt der Insel-Bauer. "Ja, natürlich, da draussen ist ein kleines Riff. Das zieht die Fische an. Aber wer nicht aufpasst, dem bleibt der Angelhaken an den Korallen hängen. Manchmal hole ich auch abgestorbene Zweige im Netz mit hoch."

Auf diese Weise haben Fischer die Korallen vor der norwegischen Küste bereits vor einigen Jahrhunderten entdeckt.

Die Apotheken in Bergen zahlten gutes Geld für die getrockneten Zweige, denen heilende Wirkung nachgesagt wurde. Auch der Bischof der Stadt, Erich Pontoppidian, glaubte an die Medizin aus Korallen - er beschrieb und zeichnete 1755 als erster eine schneeweisse Art, deren Polypen sich üppig wie eine Blüte entfalten.

Carl von Linné gab der Art, die nicht nur in weisser Farbe, sondern auch in Gelb-, Orange- und Rosatönen vorkommt, 1758 ihren Namen Madrepora pertusa (=Lophelia pertusa).

Lophelia pertusa, die Kosmopolitin

Wie weit Lophelia pertusa rund um den Globus verbreitet ist, lässt sich seit den britischen Welt-Expeditionen mit HMS CHALLENGER, HMS LIGHTNING und HMS PORCUPINE in den 1870er Jahren erahnen. So beschrieb Henry Mosely 1879 in seinem Werk Notes by a Naturalist on HMS CHALLENGER fast 50 Steinkorallen-Arten. Lophelia fanden Mosely und seine Kollegen etwa vor Tristan da Cunha, bei den Kleinen Antillen, in Indonesien und auf den Philippinen sowie bei den Sankt-Peter-und-Sankt-Pauls-Felsen mitten im Atlantik.

Inzwischen haben Forscher Lophelia pertusa auch in der südwestlichen Barentssee und weit südlich von Neuseeland entdeckt. Von Nord-Norwegen zieht sich ein Band von Riffen entlang der Kontinentalplatten-Ränder bis nach West-Afrika, ein weiteres erstreckt sich zwischen Nova Scotia und dem Golf von Mexiko. Selbst im Mittelmeer und in der Karibik findet man sie. Wissenschaftler gehen davon aus, dass sie bei entsprechender Auswahl ihrer Arbeitsgebiete noch an vielen weiteren Orten auf der Welt Lophelia pertusa zu Gesicht bekommen werden…

Lophelias Lebensraum: dunkel, kalt - und nährstoffreich

Die meisten Lophelia-Riffe befinden sich zwischen 200 und 400 Metern Wassertiefe. Jedoch ist ein Vorkommen bei nur 39 Metern im inneren Trondheim-Fjord ebenso bekannt wie eine Fundstelle im New England Seamount Chain in mehr als 3000 Metern. In diese Tiefen dringt kein Tageslicht - anders als die meisten bekannten tropischen Korallen besitzen Kaltwasserkorallen keine Zooxanthellen als Symbionten, die sie mittels Photosynthese in ihrer Ernährung unterstützen könnten. Sie filtern Plankton und andere Nährstoffe aus dem Wasser und gedeihen daher besonders gut in Regionen in denen starke Strömungen grosse Futtermengen herbei transportieren. Mit Wassertemperaturen zwischen 4 und fast 14 Grad Celsius ist die Toleranzspanne von Lophelia pertusa zwar relativ weit, überwiegend trifft man sie aber zwischen 6 bis 8 Grad an.

Lophelias Verwandte

Lophelia pertusa zählt zur Ordnung der Steinkorallen (Scleractinia) und mit diesen zur Unterklasse der Sechsstrahligen Blumentiere (Hexacorallia, Zoantharia). Diese bilden zusammen mit den Achtstrahligen Blumentieren (Octocorallia, Alcyonaria) innerhalb des Stammes der Nesseltiere (Cnidaria) die Klasse der Blumentiere (Anthozoa).

In den von Lophelia pertusa begründeten Riffen findet sich mit Madrepora oculata eine weitere wichtige Steinkorallen-Art. Auch sie ist eine Kosmopolitin und lebt zwischen 55 und knapp 2000 Metern Wassertiefe. Mit ihren zerbrechlichen Zickzack-Zweigen ist sie jedoch nicht in der Lage, ähnlich ausgedehnte unterseeische Dickichte zu bilden. Von North Carolina bis in den Golf von Mexiko und in die Karibik ist ausserdem Oculina varicosa in Tiefen zwischen 2 und 100 Metern weit verbreitet - eine Steinkoralle, die dort auch unter dem Einfluss von Tageslicht lebt.

Von den Oktokorallen sind vor allem zwei Weichkorallen-Arten häufig zusammen mit Lophelia anzutreffen.

Die rot, pink- oder cremefarbene Paragorgia arborea wird auch "Bubble Gum Coral" (Kaugummi-Koralle) genannt, weil ihre dicken knollenartigen Zweige wie aus Gummi geformt wirken. In der weichen äusseren Schicht dieser Zweige leben unzählige Polypen, die zum Fressen ihre acht Tentakel so ausstrecken, dass die Zweige wie von Blüten übersät wirken. Die bis zu drei Meter hohe Paragorgia wird im Riff noch von der organefarbenen Primnoa resedaeformis überragt. Sie wächst bis zu sechs Meter in die Höhe und wurde in Tiefen bis zu 3'200 Metern gefunden.

Oft klettern Gorgonenhäupter, eine Schlangenstern-Art, in die Primnoa-Zweige, um von dort aus Plankton als Futter einzufangen.

Kaltwasserkorallen als Anpassungskünstler?

Steinkorallen wie Lophelia pertusa bauen ihr Skelett aus Aragonit (CaCO3) auf. Diese Kalk-Art löst sich besonders leicht, wenn der pH-Wert des Meerwassers sinkt - und genau dies passiert in den nächsten Jahrzehnten aufgrund des Klimawandels. "Ozeanversauerung" nennen Wissenschaftler diesen Prozess: Der Ozean nimmt etwa ein Drittel des von Menschen produzierten Kohlendioxids (CO2) auf und verlangsamt damit die globale Erwärmung. Doch im Wasser reagiert das Gas zu Kohlensäure. Der pH-Wert sinkt und es wird saurer - eine Gefahr für alle kalkbildenden Organismen. Bei unvermindert fortschreitenden CO2-Emissionen werden bereits gegen Ende dieses Jahrhunderts mehr als 70 Prozent der heute bekannten Bestände an Kaltwasserkorallen einem pH-Wert ausgesetzt sein, unter welchem sich Kalk aufzulösen beginnt!

Forscher des GEOMAR untersuchen deshalb, wie Lophelia pertusa auf den sinkenden pH-Wert des Wassers reagiert. Löst sich ihre Struktur schlichtweg auf? Verschwinden die Riffe? Erste Langzeit-Experimente geben Anlass zur Hoffnung: Zwar hemmt saureres Wasser zunächst das Wachstum der Kaltwasserkorallen. Doch nach einer Gewöhnungsphase war sogar eine Art Gegenreaktion zu erkennen: Die Korallen wuchsen durchschnittlich sogar etwas schneller als unter aktuellen Lebensbedingungen.

Parallel zur zunehmenden Ozeanversauerung steigen in den kommenden Jahrzehnten allerdings auch die Wassertemperaturen an. Im Zuge dieser Veränderungen werden die Rollen im Nahrungsnetz neu verteilt was sich auf die Nahrungsverfügbarkeit der Kaltwasserkorallen auswirken könnte. Unter dem Dach des Forschungsprojekts BIOACID startet darum im März 2012 am GEOMAR eine kombinierte Langzeitstudie, in der erstmals die drei Parameter pH-Wert, Temperatur und Nahrungsverfügbarkeit gleichzeitig verändert werden.

Probennahme vor der norwegischen Küste

Die Korallen für die neuen Experimente sammelten Wissenschaftler mit dem deutschen Forschungsschiff POSEIDON im September 2011 vor der norwegischen Küste. Vor Nord-Leksa und am Sula-Riff, das mit zu den grössten bisher bekannten Kaltwasserkorallen-Riffen zählt, tauchten sie mit JAGO in die Tiefe, um geeignete Korallenstöcke an Bord zu holen.

In der Tiefe bietet sich ein beeindruckendes Bild: In den schneeweissen und orangefarbenen Lophelia-Zweigen sitzen unzählige kleine Krebse. Gorgonenhäupter scheinen das Tauchboot mit ihren zarten Fangarmen betasten zu wollen. Seelachse schnappen im Scheinwerferlicht gierig nach Plankton. Lumbs kommen aus ihren Verstecken hervor, und Rotbarsche suchen Schutz hinter den Korallen. Nichts verrät die Oberfläche von diesem wimmelnden, bunten Leben…

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Quelle: Text GEOMAR | Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, September 2012

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