Das Galileo-Startteam im Europäischen Satellitenkontrollzentrum (ESA/ESOC) in Darmstadt hat seine Vorbereitungen abgeschlossen. Es ist bereit, die Kontrolle des Satellitenpaares zu übernehmen, dessen Start für den kommenden Monat geplant ist.
Der kritischste Punkt des Fluges ist, kurz nach dem Raketenstart, die vom ESOC aus gesteuerte erste Betriebsphase. In dieser sogenannten LEOP (Launch and Early Orbit Phase) werden beide Satelliten von der Oberstufe der Rakete abgekoppelt, Systeme hochgefahren und stabile Flugbahnen angesteuert. Bei dieser Art von Satelliten-Geburt agieren die LEOP-Teammitglieder sozusagen als "Geburtshelfer". Da die Satelliten durch pyrotechnische Erschütterungen weggewirbelt werden können, muss jegliche Drehung unter Kontrolle gebracht und stabilisiert werden. Erst dann werden die Solarpaneele der Satelliten entfaltet, um eine stabile Stromerzeugung sicherzustellen. Anschliessend werden die Satellitensysteme einzeln eingeschaltet und überprüft, um zu gewährleisten, dass sich nach dem Start alles weiter in betriebsfähigem Zustand befindet. Nach einem planmässigen Verlauf der LEOP kann die Kontrolle über das Satellitenpaar nach etwa zehn Tagen zum einen an das Galileo-Kontrollzentrum im DLR/Oberpfaffenhofen übergeben werden, das die Satelliten überwacht, zum anderen an die ESA-Bodenstation im belgischen Redu, die umfassende Nutzlasttests durchführt. 20 Simulations-Trainings für erwartete Fälle und Notfälle Das LEOP-Team hat monatelanges Training und eine zweieinhalbjährige Vorbereitungsphase hinter sich, wie Hervé Côme, ESA-Flugdirektor für den Start der Galileo-Satelliten in Darmstadt, erklärt: "Die seit März laufende Simulationskampagne hat bewiesen, dass sowohl das System als auch seine Kontrolleure fehlerlos arbeiten. Seitdem wurden 20 Simulationen für zu erwartende Fälle und mögliche Notfälle durchgeführt." Die Satelliten wurden mehreren umfassenden Systemkompatibilitätstests unterzogen, um die vollständige Kompatibilität mit den verschiedenen Galileo-Bodenkomponenten sicherzustellen, die sich viele Kilometer voneinander entfernt an den Bodenstationen der ESA und der französischen Weltraumagentur CNES (ESA-Partner für die LEOP) befinden. Bereits die ersten vier Galileo-Satelliten, die 2011 und 2012 ebenfalls paarweise unter der Leitung des LEOP- und Network Operations Control Centre im französischen Toulouse gestartet waren, wurden von einem gemeinsamen Team aus ESA- und CNES-Experten überwacht. Dieses Mal arbeitet das integrierte LEOP-Team mit dem Spitznamen "CNESOC" vom ESOC in Darmstadt aus, wo sich auch die Galileo-Kontroll- und Flugdynamiksysteme der ersten vier IOV- (In-Orbit Validation) Satelliten befinden, die für die neuen FOC- (Full Operational Capability) Modelle angepasst wurden. Die Abläufe und der Zeitplan der LEOP wurden vollständig validiert, die kritischen Systemkonfigurationen sind alle festgezurrt. Nach einer kurzen Sommerpause kann sich das Galileo-Kontrollteam im ESOC daher nun auf weitere Feinabstimmungen ihrer Startorganisation und -abläufe konzentrieren, bevor das Satellitenpaar im nächsten Monat ins All transportiert wird.
Seit 2011 und 2012 sind bereits vier Satelliten für die In-Orbit-Validierung des Systems im All. Gegen 18.15 Uhr MESZ sollten die beiden vom deutschen Raumfahrtunternehmen OHB in Bremen gebauten Navigationssatelliten dann in ihrem Zielorbit - der mittleren Erdumlaufbahn in rund 23.500 Kilometern Höhe - ausgesetzt werden. "Deutschland ist mit rund 20 Prozent an Galileo beteiligt", erklärt René Kleessen, Galileo-Programm-Manager beim Raumfahrtmanagement des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). "Wir vertreten die deutschen Interessen bei Galileo im ESA-Programmrat Navigation und beraten das Bundesverkehrsministerium im europäischen GNss (Global Navigation Satellite System)-Ausschuss gegenüber der Europäischen Kommission". Die Europäische Kommission ist Auftraggeber für das Navigationsprogramm, die europäische Weltraumagentur ESA verhandelt in ihrem Auftrag die Industrieverträge.
Zusammen mit Geoinformationen und Telekommunikation kann Galileo vielseitig eingesetzt werden - vom autonomen Fahren im Strassenverkehr bis hin zur Überwachung von Fischbeständen oder bei Such- und Rettungsdiensten. Mit dem Start der beiden ersten OHB-Satelliten ist formal die Entwicklungsphase von Galileo abgeschlossen: Zur sogenannten In-Orbit-Validierung zählten die ersten vier Satelliten, die von Airbus Defense and Space gebaut und im Oktober 2011 und Oktober 2012 gestartet worden sind. Im März 2013 konnte mit diesen vier Satelliten die erste Position mit Galileo-Signalen ermittelt werden. Für die nun beginnende Aufbauphase (FOC, Full Operational Capability) hat die Europäischen Kommission insgesamt 22 Satelliten bei OHB in Bremen bestellt. Die nächsten beiden FOC-Satelliten sollen Ende 2014 folgen. "Eigentlich sollte Galileo schon 2008 voll funktionieren, aber wie bei grossen, komplexen Raumfahrtprogrammen üblich, gab es Verzögerungen. Das GPS-System hat 20 Jahre mehr Erfahrung, das müssen wir erstmal aufholen", sagt DLR-Programmmanager Kleessen. Zusammen mit dem amerikanischen GPS, dem russischen GLONAss und dem ebenfalls im Aufbau befindlichen chinesischen Beidou werden in einigen Jahren weltweit vier Satellitennavigationssysteme existieren.Komplexe Physik - vielseitige Anwendungen
Zusätzlich sind für Betrieb und Weiterentwicklung des Systems und des europäischen GPS-Ergänzungssystems EGNOS (European Geostationary Navigation Overlay System) weitere rund sieben Milliarden Euro für den Zeitraum 2014 bis 2020 im Haushalt der Europäischen Union eingestellt. Die jetzt gestarteten ersten FOC-Satelliten kosten jeweils rund 40 Millionen Euro. Neben der OHB System AG als Hauptauftragnehmer der ESA sind acht weitere deutsche Firmen beteiligt.
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