Schule und Bildung
Schulreformen im Kanton Aargau
«Bildungskleeblatt»
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Bildungskleeblatt Aargau: Positionen der Gegner
Komitee für ein fortschrittliches Bildungssystem: 4 x NEIN zum Bildungskleeblatt
April 2009
NEIN zum Bildungskleeblatt - überparteiliches Komitee gegründet
Vertreter der aargauischen Politik und Wirtschaft haben sich mit dem Leitspruch «Für die Kinder, für bessere Job-Chancen der Jugend, für die Zukunft des Kantons» zu einem Komitee zusammengeschlossen, das sich für ein fortschrittliches und leistungsfähiges Bildungssystem im Aargau stark macht. Das Bildungskleeblatt erfüllt diese Anforderungen nicht und wird deshalb abgelehnt.

Es ist unbestritten, dass die Volksschule der Verbesserung bedarf. Die Bildung ist der wichtigste Rohstoff unseres Landes. Die Verbesserung der Ausbildungsqualität ist deshalb oberstes Ziel jeder Reform. Auch eine Vereinheitlichung der Schulstrukturen und Lerninhalte in einem kleinen Land wie der Schweiz und die Anpassung an die Veränderungen der Gesellschaft (Doppelverdiener, Bevölkerungsmigration) sind sinnvoll.

Das Bildungskleeblatt kann das wichtigste dieser Ziele - die Verbesserung der Ausbildungsqualität - nicht erreichen. Vielmehr besteht die Gefahr, dass sich durch die Einführung von leistungsfeindlichen Strukturen die Qualität der Bildung wesentlich verschlechtert. Das gefährdet die Berufs- und Studienchancen unserer Jugend.

Die Vorlage führt auch nicht zu Vereinheitlichung der Schulstrukturen - die Oberstufe mit drei Schultypen und je drei Niveaukursen unter einem Dach - wäre ein in der Schweiz einmaliger exotischer Sonderfall. Nicht einmal das Minimalziel der Harmonisierung in der Nordwestschweiz kann erreicht werden.

Die vorgeschlagenen Tagesstrukturen und der Sozialindex sind Produkte der Bildungsbürokratie. Sie sind technokratisch geprägt, nehmen nicht auf die echten Bedürfnisse Rücksicht und führen nach dem Giesskannenprinzip zu unverantwortbaren Kostenfolgen. Für Kinder sinnvolle Tagesstrukturen bedürfen keiner pädagogischen Betreuung von 7 bis 18 Uhr. In Gemeinden mit hohem Ausländeranteil ist ein gezieltes und intensives Bildungsangebot für Kinder mit ungenügenden Sprachkenntnissen wichtig - und nicht mehr Lehrer für fast alle Gemeinden des Kantons nach dem «Sozialindex». Nur das erste schafft Chancengleichheit.

Zu den vier Kleeblättern im Einzelnen:

Eingangsstufe - nicht kindgerecht - Verkehrssicherheit nicht gegeben

Die Einschulung ab dem 4. Altersjahr kommt für die meisten Kinder zu früh. In diesem Alter sind viele Kinder noch nicht schulreif. Die Integration des «Kindergartens» in die Grundschule führt zur Aufhebung aller Quartierkindergärten - die Verkehrsrisiken für die Jüngsten auf dem viel längeren Schulweg nehmen zu. Die neuen zentralen Grundschulen - in der Nähe der Oberstufenschulen - führen zu einem Individualitätsverlust, der in diesem Alter problematisch ist.

Die Durchmischung von bis zu fünf Jahrgängen in der gleichen Klasse wirft weiter grundlegende pädagogische Fragen auf und überfordert viele Kinder - aber auch Lehrpersonen. Der Entwicklungsstand, die Interessen und die Bedürfnisse von Kindergartenkindern und Schulkindern der ersten beiden Klassen sind zu unterschiedlich. Aus diesen Gründen lehnen wir das Kleeblatt «Eingangsstufe» ab.

Harmonisierung der Schulstrukturen - senkt Bildungsniveau aller - Scheinlösung

Die neue Oberstufe ist zunächst keine Harmonisierung. Mit drei Schultypen und je drei Niveaukursen unter einem Dach wird eine neue, exotische Struktur geschaffen, die in der Schweiz einmalig ist. Sie bedingt zudem eine starke Zentralisierung auf wenige Schulstandorte - mit den bekannten Risiken Individualitätsverlust, fehlende soziale Kontrolle und Jugendgewalt.

Dieses Kleeblatt löst auch das wichtige Problem der Realschule nicht. Ganz im Gegenteil. Die Auflösung des Klassenverbandes und die Integration der Kleinklassen vergrössern die Risiken zusätzlich. Die Chancen schwächerer Schüler werden mit dem Kleeblatt sinken. Der Name Realschule wird zwar aufgehoben, die Schülerinnen und Schüler bleiben die gleichen - ihre Probleme werden ohne festen Klassenverband zunehmen.

Das Kleeblatt reduziert auch die Bildungschancen der guten SchülerInnen. Hier liegt die Schule Aargau heute in der Spitzengruppe, weil sie die Schülerinnen und Schüler fordert und fördert. Heute besuchen 40 Prozent den stärksten Leistungszug, die Bezirksschule. Die Reform will dies umkehren und künftig 40 Prozent in den schwächsten Zug einteilen. Die neue Struktur behindert die Förderung leistungswilliger Jugendlicher.

Damit verschlechtern sich die Chancen der Jugendlichen für eine gute Lehrstelle oder eine weiterführende Ausbildung. Dies zu einer Zeit, in der Wirtschaft und Staat vermehrt auf sehr gut qualifizierte Mitarbeitende angewiesen sind. Wir werden noch mehr Spezialisten aus dem Ausland rekrutieren müssen. Das sinkende Bildungsniveau führt auch zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft: Wer es sich leisten kann, wird die Kinder eher auf Privatschulen senden.

Wir treten ein für eine qualitative Verbesserung der Realschulen und für eine echte Harmonisierung zwischen den Kantonen - mit gleichen Lehrplänen und gleichen Strukturen. Aus diesen Gründen lehnen wir das Kleeblatt «Harmonisierung der Schulstrukturen» ab.

Tagesstrukturen - Verschulung der Freizeit - belastet Gemeinden finanziell zu stark

Es kann nicht Aufgabe des Staates sein, Betreuung anzubieten, damit «die Mehrheit der Eltern mehr Erwerbsarbeit leisten und dadurch mehr Steuern bezahlen kann» (Planungsbericht Kleeblatt).

Die im Kleeblatt «Tagesstrukturen» vorgesehene Betreuung der Kinder und Jugendlichen von 7 Uhr bis 18 Uhr durch ausschliesslich pädagogisch geschultes Personal schiesst weit über das Ziel hinaus. Diese Lösung bevormundet die Eltern, verunmöglicht flexiblere Lösungen und führt zu untragbaren Kosten.

Die enge Vernetzung von Tagesstrukturen und Schulen führt tendenziell zu einer Verschulung der Freizeit - Eigenverantwortung, Jugendvereine und Freizeitgestaltung werden durch staatliche Animatoren konkurrenziert.

Das gesetzlich verankerte Recht auf Betreuung von 7 Uhr bis 18 Uhr überfordert zudem viele Gemeinden, die die Kosten übernehmen müssen. Die Schliessung von Schulstandorten wird die Folge sein - mit den bekannten Problemen des Individualitätsverlustes und der Entfremdung.

Wir treten ein für den Aufbau sinnvoller, flexibler Tagesstrukturen auf Gemeindeebene. Aus diesen Gründen lehnen wir das Kleeblatt «Tagesstrukturen» ab.

Sozialindex - teure «Giesskanne» löst Probleme nicht
Die Zuteilung von bis zu 40% mehr Lehrpersonen an Schulen in schwierigen Gemeinden nach dem Sozialindex löst deren Probleme nicht. Statt der teuren Giesskanne braucht es gezielte Massnahmen. Dazu gehört unter anderem, dass spezielle Kleinklassen gebildet werden, die in erster Linie dazu dienen, rasch die fehlende Sprachkompetenz auf ein genügendes Niveau anzuheben.

Nur mit gezielten Massnahmen ist es möglich, trotz schwierigen Voraussetzungen, Chancengleichheit in der Bildung zu schaffen. Das muss das Ziel sein. Es lässt sich nur mit spezifischen Fördermassnahmen erreichen - und nicht mit einer Giesskannen-Lösung, bei der fast allen Gemeinden des Kantons nach einem «Sozialindex» zusätzliche Lehrpersonen zugeteilt werden. Wir fordern solche gezielte Massnahmen. Aus diesen Gründen lehnen wir das Kleeblatt «Sozialindex» ab.

4 x NEIN schafft Basis für bessere Lösungen - kein Chaos an unseren Schulen

Die Kleeblatt-Strukturen als Ganzes sind wenig durchdacht, sie überfordern die Schule. Zuviele Fragen sind ungeklärt. Das Ausmass der gleichzeitig gemachten änderungen ist zu gross. Leidtragende werden die Schüler sein. Wir wollen kein Chaos an unseren Schulen.

Weil alle vier Kleeblätter innerlich zusammenhängen, ist die Vorlage gesamthaft zurückzuweisen. Damit wird der Weg frei für die dringendst notwendigen Reformen wie zum Beispiel die qualitative Verbesserung der Realschule und flexible Tagesstrukturen. Auf der Internetseite www.ich-will-nicht.ch hat das überparteiliche Komitee für ein fortschrittliches Bildungssystem Informationen zum Bildungskleeblatt aufgeschaltet.

Das Co-Präsidium des Komitees setzt sich zusammen aus:
Bertschi Hans-Jörg, Unternehmer, Dürrenäsch Bürge Hans, Gemeindeammann, Geschäftsführer, Safenwil Giezendanner Ulrich, Nationalrat, Geschäftsführer, Rothrist Huber Silvia, Geschäftsführerin, Lengnau Lehner Veith, Vizepräsident AIHK, Unternehmer, Gränichen Reimann Maximilian, Ständerat, Gipf-Oberfrick Suhner Otto, Vizepräsident AIHK, Unternehmer, Brugg Zehnder Hans-Peter, Unternehmer, Meisterschwanden

Das Komitee zählt aktuell über 60 Mitglieder aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Quelle: Komitee für ein fortschrittliches Bildungssystem, April 2009

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