Arm oder reich? - Bruttosozialprodukt wenig aussagekräftig Der Ländervergleich zeigt, dass Kinderarmut nicht unvermeidbar ist, sondern massgeblich von politischen Entscheiden beeinflusst wird. So haben einige Länder einen deutlichen Vorsprung darin, sich benachteiligter Kinder anzunehmen. Kinder, die in einem Land materiell hinter den anderen zurückfallen, tun dies von Geburt weg und tragen die Konsequenzen dieser sozialen Ungleichheit ein Leben lang. Wenig aussagekräftig ist in diesem Zusammenhang das Bruttosozialprodukt eines Landes: in einem reichen Land ist die Lage der Kinder nicht automatisch besser, als in einem ärmeren. So kommt in dem Bericht zum Beispiel Slowenien besser weg als Kanada, Tschechien besser als Österreich und Portugal besser als die USA. Die Schweiz rangiert bezüglich relativer Armut auf Platz 9 nach Irland und vor Deutschland. 9,4 Prozent der Kinder - also rund jedes zehnte ist in der Schweiz von Armut betroffen. Dabei klafft die Schere zwischen Arm und Reich weit auseinander: Eine Familie, die in der Schweiz unter der Armutsgrenze lebt, muss im Durchschnitt mit über 20 Prozent weniger Mitteln auskommen, als eine Familie, die knapp über der Armutsgrenze lebt. Damit liegt die Schweiz auf Platz 12. Für Elsbeth Müller, Geschäftsleiterin von UNICEF Schweiz, ist diese Kluft problematisch: «Chancengleichheit ist ein Kinderrecht und dies mit gutem Grund: Nur wenn sich jedes Kind von Geburt weg bestmöglich entwickeln kann und bestmöglich gefördert wird, kann sich auch die Gesellschaft weiter entwickeln.Gerade mangelnde finanzielle Mittel beeinflussen aber das physische und psychische Entwicklungspotenzial, die Ausbildungsmöglichkeiten und die Sozialisation des Kindes. Armut kann ein Qualifikationsverlust bedeuten, womit das Potenzial des Kindes auch für sein Land verloren geht.» Schweiz auf Platz 8: bestes Wohnumfeld und wenig Gewalt, aber tiefe Impfrate und hoher Cannabiskonsum In der Gesamtwertung über alle Themenbereiche hinweg liegt die Schweiz auf Platz 8 von 29, zwischen Luxemburg und Belgien. Den ersten Platz belegen die Niederlande, gefolgt von Norwegen, Island, Finnland, Schweden und Deutschland. Auf den untersten Rängen figurieren Litauen, Lettland und Rumänien. Am besten von allen Ländern schneidet die Schweiz bei der Qualität des Wohn- und Lebensumfeldes ab. Untersucht wurden der verfügbare Wohnraum und dessen Zustand, aber auch die Umgebungsfaktoren Kriminalität und Luftverschmutzung. Den zweitbesten Rang erreichten die Schweizer Kinder bezüglich Fettleibigkeit: weniger als 9 Prozent der 11-, 13- und 15-jährigen sind nach BMI übergewichtig; in allen Ländern ausser den Niederlanden sind es mehr. Interessanterweise steht die Schweiz dennoch an viertletzter Stelle, wenn es um körperliche Bewegung und Sport geht. Für den Ländervergleich wurden auch die Aussagen der Kinder aus der Studie «Health Behaviour in School-Aged Children» (internationale Umfrage der WHO 2009/2010) beigezogen. Im Bereich Bildung liegt die Schweiz laut Bericht auf Platz 16. Dieser verhältnismässig tiefe Wert resultiert vor allem aus dem Befund, dass die Schweiz zu jenen acht Ländern gehört, in denen weniger als 80 Prozent aller Kinder zwischen vier und sieben Jahren an einem Frühförder- oder Vorschulangebot teilnehmen. Die Studie weist aber gleichzeitig auf die Schwierigkeit hin, den Kleinkindbereich länderübergreifend qualitativ und quantitativ zu erfassen. Grund dafür sind Datenlücken. Im Bereich Gesundheit und Sicherheit liegt die Schweiz mit Platz 11 im Mittelfeld, wobei sie beim Indikator «Impfrate» nur gerade Platz 22 belegt - nach Estland und Italien. Ebenfalls auf Platz 22 liegt die Schweiz betreffend Mobbing. Obwohl Schweizer Kinder international gesehen mit verhältnismässig wenig Gewalt konfrontiert sind - 29 Prozent der Befragten gaben an, innerhalb der vorangegangenen zwölf Monate in eine physische Auseinandersetzung verwickelt gewesen zu sein (Rang 4) - bestätigte über ein Drittel, in den vorausgegangenen Monaten mindestens einmal Mobbingopfer geworden zu sein. Unter anderem wurde auch die Risikobereitschaft der Kinder und Jugendlichen in Bezug auf Suchtmittel untersucht. So ging die Zahl der Cannabis-Konsumentinnen und -Konsumenten seit der Jahrtausendwende in allen Ländern um beinahe einen Drittel zurück. Im Ländervergleich liegt die Schweiz aber weit hinten: hierzulande ist der Cannabiskonsum bei Jugendlichen nach Kanada am höchsten. Zuwenig Daten über Kleinkinder Worin alle untersuchten Länder, ausgenommen Kanada und Australien, mangelhaft abschneiden, ist die Datenlage bezüglich Säuglinge und Kleinkinder. Ihr Wohlergehen und ihre Entwicklung werden bislang ungenügend erfasst, obwohl sozial- und neurowissenschaftlich erwiesen ist, wie wichtig die Erfahrungen in der frühen Kindheit für die Entfaltung des persönlichen Potenzials sind. Die subjektiven Einschätzungen der eigenen Lebenssituation der Kinder und Jugendlichen sind im 2. Teil des Berichtes zusammengefasst. «Es ist interessant, dass die Schweiz auch dort auf Platz 8 liegt», so Elsbeth Müller, «das heisst, dass die Kinder bei unsihre eigene Lebensrealität und ihr Wohlbefinden durchaus realistisch einschätzen. Dies zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, den Kindern eine Stimme zu geben. Wir müssen zukünftig noch viel mehr darüber in Erfahrung bringen, wie Kinder ihre eigene Situation erleben und beurteilen. Es braucht dazu ein systematisches Monitoring, das auch die Aussagen der Jüngsten mit einbezieht. Nur so können auf politischer und sozialer Ebene die Weichen für eine Zukunft gestellt werden, in der wirklich alle Kinder die gleichen Chancen haben und sich entfalten können.» Die UNICEF-Report-Card-Serie Der vorliegende Bericht «Child well-being in rich countries» ist die 11. Publikation der UNICEF Studienreihe «Report Card». Die «Report Card»-Serie verfolgt regelmässig die Situation der Kinder in industrialisierten Ländern und erfüllt damit einen Teil des UNICEF Mandats. Dieses bezieht sich auf sämtliche Kinder der Welt und hat die konsequente Umsetzung der Kinderrechte auch in den Industrienationen zum Ziel. Weitere Informationen, eine interaktive Karte sowie der Gesamtbericht (in Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch) finden Sie unter:
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