... die Erwartungen sind stärker gestiegen als der Lebensstandard Die Menschen am Fuss der Himalayakette lebten während Jahrhunderten unter dem Diktat von Herrschern. Immer wieder zogen Heere durch die Täler, welche im Auftrag eines Königs Landgebiete erobern wollten. Die Menschen haben sich Lebens- und Verhaltensweisen verinnerlicht, welche diesen Verhältnissen angepasst waren. Von 1996 bis 2006 tobte einer Bürgerkrieg im Land, welcher viel Leid über das Land brachte. 2006 einigten sich die Kriegsparteien mit einem Friedensvertrag. Im Jahr 2006 wurde der letzte König Gyanendra abgesetzt. König Gyanendra erhielt die Macht, durch einen bis heute öffentlich nicht aufgeklärten Mordanschlag auf seinen Vorgänger Birendra. Die Monarchie wurde 2006 durch eine demokratische Republik ersetzt. Seit diesem Zeitpunkt ringen die politischen Kräfte im Land um eine Verfassung. Erst seit 2006 lernt das Volk den Umgang mit den demokratischen Spielregeln. Das Beispiel der Schweiz zeigt, dass das Zurückdrängen der alten Machtstrukturen, der vorherrschenden Korruption sowie der bisherigen Interessengruppen und der Aufbau einer demokratisch orientierten Zivilgesellschaft viele Jahrzehnte dauern kann. Nepal hatte bisher dafür lediglich ein Jahrzehnt Zeit. Für die meisten Menschen in Nepal hat der politische Systemwechsel bisher noch nicht die so sehnlichst erwarteten Vorteile gebracht. Es ist daher nicht erstaunliche, dass in einem Katastrophenfall die organisatorischen Mängel wie langwierige bürokratische Prozesse, Verantwortlichkeitsmängel, Zuständigkeitsdefizite usw. im Land besonders deutlich zum Vorschein kommen. In Nepal liegt die Katastrophenhilfe im Aufgabenbereich der Armee und der Polizeikräfte. Katastropheneinsatzelemente wie etwa ein Zivilschutz oder eine dezentrale Feuerwehr fehlen in Nepal weitgehend. Es gilt allerdings zu bedenken, dass ein Naturereignis wie das Erdbeben vom 25. April 2015 auch besser organisierte Staatswesen vor grosse, schwierig zu meisternde Herausforderungen gestellt hätte. Ein geschichtlicher Überblick Im Jahr 1768 hat der Gurkha-Herrscher Prithvi Narayan Shah Kathmandu erobert und damit den Grundstein für ein vereinigtes Königreich am Fuss des Himalayas gelegt. 1816 wurde das Königreich Nepal nach einem verlorenen Krieg zu einen quasi-britischen Protektorat. 1846 gelangte die Rana-Dynastie an die Macht, welche sie in Nepal bis ins 20. Jahrhundert hinein bewahren konnte. 1923 anerkannte das Vereinigte Königreich (Grossbritanien) formal die Unabhängigkeit des Staates Nepal. Das Land verblieb aber unter britischer Kontrolle. 1951 konnte sich die Rana-Dynastie nach einem einjährigen Krieg mit Rebellen aus Indien die Macht wiedererlangen. Die antiköniglichen Kräfte der «Nepal Congress Party» bildeten im Gegenzug die Regierung. 1959 wurde eine Verfassung in Kraft gesetzt, welche mehrere politische Parteien erlaubt. 1960 setzte der Rana-König Mahendra die Verfassung ausser Kraft und löst das Parlament auf. 1962 wurde eine Verfassung verabschiedet, welche dem König die alleinige Macht gab und die Parteien verbot. Das «Panchayat-Rätesystem» wurde installiert. 1990 erlaubte der Rana-König Birendra auf äusseren Druck hin die Ausarbeitung einer demokratischen Verfassung. Ab 1995 begann, die «Nepal Communist Party (Maoist)» auf dem Lande zu agitieren. Ihre Wurzeln hatte die Bewegung in der Region um Gorkha. Der «People's war» (Volkskrieg) nahm seinen Anfang. Am 7. November 2006 besiegelten die Regierung und «Nepal Communist Party (Maoist)» mit ihrer «People's Liberation Army» einen mit Hilfe der UNO Waffenstillstand. Am 9. Januar 2007 tritt eine Interimsverfassung in Kraft. Ein paar Tage später nahm ein Interimsparlament seine Arbeit auf. Am 28. Dezember 2007 schaffte das Interimsparlament die Monarchie ab. Der der politischen Macht enthobene Rana-König Gyanendra verblieb unbehelligt im Land. Das war die Geburtsstunde der Demokratischen Republik Nepal. Nepal auf dem schwierigen Weg in die Zukunft Die Völker Nepals wurden während Jahrhunderten von Monarchen befehligt. Eine Zivilgesellschaft existierte nicht. Die neu gewonnene, mit den Parlamentswahlen von 2008 bekräftigte Demokratie hat in der Folge Mühe sich zu installieren. Die politischen Parteien stritten um Macht, Einfluss und Geld und waren bisher nicht in der Lage, wichtige zukunftsweisende Entscheide zu fällen. Die sich abwechselnden Regierungen blieben schwach. Die Zivilgesellschaft begann sich zu regen. Sie konnte sich in der kurzen Zeit bis zur Erdbebenkatastrophe zu wenig festigen, um einen entscheidenden Einfluss auf die Politik ausüben zu können. Wegen den schwachen Regierungen blieb die Entwicklungsarbeit der internationalen Gemeinschaft meist Stückwerk. Der Lebensstandard der meisten Bevölkerungsschichten hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nur wenig angehoben. Seit 1959 ist die offizielle Schweiz mit Entwicklungsprojekten in Nepal präsent. Bereits 1952 planten private Hilfswerke aus der Schweiz ihre ersten Projekte in Nepal. In der Anfangsphase hat sich die Schweiz auf die Entwicklung der ländlichen Räume konzentriert. Die Schweiz hat den Bau von über 3'000 Hängebrücken begleitet und finanziert. Die besseren Transportwege verschafften man den Bauern einen besseren Marktzugang und damit eine Einkommensverbesserung. Integrative Entwicklungsprojekte wie jenes im Langtangtal oder in Jiri wurden sogar mit einem Flugfeld unterstützt. Beide Flugfelder können als Fehlinvestitionen betrachtet werden und als Lehrgeld abgebucht werden. Die Yakkäseproduktion im Langtang und die Schweinezucht in Jiri überlebten allerdings als kleinere Projekte. Einen wichtigen Entwicklungsbeitrag lieferte die Schweiz mit der Erschliessungsstrasse von Lamosangu am Arniko Highway hinauf nach Charikot und weiter über den Hanumantepass nach Jiri. Die Strasse verlieh der Region einen Entwicklungsschub. Heute werden in der Region wichtige Kraftwerksanlagen ohne schweizerische Beteiligung gebaut. Mit Entwicklungsgeldern aus der Schweiz wurden landesweit viele Federstrassen gebaut. Von Beginn seiner Aufbauarbeit in Nepal setzte de schweizerische Entwicklungshilfe Akzente bei der Ausbildung von Berufsleuten. Heuteunterstützt die Schweiz mit Personal und Geld ein Ausbildungszentrum für die handwerkliche Ausbildung von Berufsleuten in Kathmandu. Ab den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts setzte die internationale Gemeinschaft verstärkt auf den Strassenbau. Viele Haupt- und Nebenstrassen wurden in oft unwegsamem Gelände über Pässe und in Nebentäler gebaut. Viele davon sind bis heute unterhaltsintensiv und äusserst anfällig auf Steinschlag sowie Wettereinflüsse. Dazu passt gut die Aussage einer japanischen Entwicklungshelferin, welche vor gut 15 Jahren meinte, dass sie entweder über zu viele Projektgelder oder dann über zu wenig Projekte verfügen würde. Heute bestimmen in vielen Tälern die Busverbindungen das Leben der Menschen. Viele früher benutzte Transportwege durch Wälder , über Pässe und entlang von Berghängen überwuchern heute. Sie werden heute fast nicht mehr von den Maultierkolonnen oder den Trägern benutzt. Die neue Wege führen talwärts hinunter oder bergwärts hinauf zur Strasse, wo irgendeinmal der Bus vorfährt, … oder auch auch nicht, weil die Strasse verschüttet wurde. In der kurzen Phase der Demokratie seit 2008 konnte sich die politische Kultur und die Zivilgesellschaftnur wenig weiter entwickeln und festigen. Die alten «Seilschaften» sind immer noch aktiv. Das Ränkespiel und die Korruption blüht wie in den Zeiten der Monarchie. Die neuen demokratisch orientierten Kräfte konnten sich noch nicht durchsetzen.
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