Revisionsvorlage: Anhörung zu einer neuen Bestimmung im Arbeitsgesetz Das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO hat am 11. September 2012 die Anhörung zu einer neuen Bestimmung betreffend Arbeitsgesetz eröffnet. Der Vorschlag sieht vor, dass Arbeitnehmende mit einem jährlichen Bruttoerwerbseinkommen von mehr als 175'000 Franken sowie im Handelsregister eingetragene zeichnungsberechtigte Angestellte auf die Arbeitszeiterfassung verzichten können. Die Anhörung läuft bis am 30. November 2012. Die vorgeschlagene neue Bestimmung in Artikel 73a der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz (ArGV 1) sieht vor, dass Arbeitnehmende, die über einen grossen Gestaltungsfreiraum beim Inhalt und bei der Organisation ihrer Arbeit geniessen und über Verhandlungsmacht gegenüber ihrem Arbeitgeber verfügen, auf die Arbeitszeitaufzeichnung verzichten können. Als objektive Kriterien wurden die Lohnhöhe und der Handelsregistereintrag gewählt. Der Verzicht auf die Arbeitszeiterfassung muss mit den Arbeitnehmenden, die in diese Kategorie fallen, individuell und schriftlich vereinbart werden. Er kann jeweils per Ende Jahr widerrufen werden. Artikel 46 des Arbeitsgesetzes (ArG) verpflichtet die Arbeitgeber, alle Verzeichnisse oder andere Unterlagen, aus denen die für den Vollzug des Gesetzes und seiner Verordnungen erforderlichen Angaben ersichtlich sind, den Vollzugs- und Aufsichtsorganen zur Verfügung zu halten. Namentlich müssen Dauer und Beginn und Ende der geleisteten täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit (inklusive Ausgleichs- und Überzeitarbeit) sowie der Pausen von einer halben Stunde und mehr ersichtlich sein. Zwischen 2009 bis 2011 fand unter der Leitung des SECO ein Pilotprojekt im Bankensektor statt. Die Aufgabe der Projektgruppe lautete, zusammen mit den Vollzugsorganen und Sozialpartnern nach Lösungen zu suchen, die dem Bedürfnis der Praxis nach mehr flexibler Zeiterfassung entgegen kommen. Gleichzeitig mussten der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmenden gewährleistet und die Einhaltung des Arbeitsgesetzes durch die Vollzugsbehörden überprüfbar bleiben. Allfällige neue Regeln sollten zudem auf alle Branchen anwendbar sein. Das Pilotprojekt wurde mit zwei wissenschaftlichen Studien begleitet: In der einen wurden die Beschäftigten der am Pilotprojekt beteiligten Banken über ihre Zufriedenheit mit dem Arbeitsmodell und ihren Gesundheitszustand befragt. Die andere Studie wertete Daten aus, die im Zusammenhang mit der European Working Conditions Survey (EWCS) erhoben wurden, speziell unter dem Gesichtspunkt der flexiblen Arbeitszeiten. Beide Studien sind zusammen mit dem Schlussbericht zum Pilotprojekt als Hintergrundinformation zur laufenden Anhörung auf der Internetseite des SECO veröffentlicht. Während des Projekts wurden viele kontroverse Diskussionen, u.a. auch in der Eidgenössischen Arbeitskommission EAK geführt. Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass die vom Gesetz festgelegten Arbeits- und Ruhezeiten wichtig sind für den Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Deren Einhaltung muss in erster Linie vom Arbeitgeber, aber auch von den Vollzugsbehörden, aufmerksam überwacht werden, um bei allfälligen Überschreitungen Gegenmassnahmen ergreifen zu können. Die Arbeitszeiterfassung liefert hierzu ein wichtiges Instrument. Deshalb sieht der Erlassentwurf vor, dass für die Mehrheit der Arbeitnehmenden am Grundsatz der Pflicht der Arbeitszeiterfassung festgehalten wird. Es ist aber gerechtfertigt, eine Ausnahme vom Prinzip der Arbeitszeiterfassung vorzusehen für Arbeitnehmende, die aufgrund ihrer Funktion über einen grossen Gestaltungsfreiraum beim Inhalt und bei der Organisation ihrer Arbeit geniessen. Dabei handelt es sich Angestellte, von denen angenommen werden kann, dass sie dank ihrer Position auch über Verhandlungsmacht gegenüber ihrem Arbeitgeber verfügen. Gemäss der Lohnstrukturerhebung 2010 verdienen weniger als 4 % aller Angestellten mehr als 175'000 Franken im Jahr. Diese Kategorie von Arbeitnehmenden soll auf die Arbeitszeitaufzeichnung verzichten können. Hingegen bleiben das Nacht- und Sonntagsarbeitsverbot, die Ruhezeiten und die täglichen Höchstarbeitszeiten nach wie vor anwendbar auf sie.
Das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) verzichtet darauf, die Ende 2012 in die Vernehmlassung gegebene Vorlage zur Arbeitszeiterfassung in ihrer aktuellen Form dem Bundesrat zu unterbreiten. Die Vernehmlassung hat ergeben, dass die Positionen der wichtigsten Akteure nach wie vor sehr weit auseinander liegen. Die Lösung einer Lohngrenze wird als gangbarster Weg beibehalten. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) wird auf dieser Basis eine neue und differenziertere Revisionsvorlage ausarbeiten. Das Arbeitsgesetz (ArG), das für die grosse Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Schweiz gilt, regelt die Arbeits- und Ruhezeiten. Damit diese Regelung in der Praxis vollzogen werden kann, ist die Pflicht zur Führung von Verzeichnissen im Gesetz verankert (Art. 46). In den letzten Jahren hat die Diskrepanz zwischen der Verpflichtung zur systematischen Arbeitszeiterfassung gemäss der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz (ArGV 1) und der Realität des Arbeitsalltags gewisser Personalkategorien jedoch zugenommen. Diese Diskrepanz betrifft in erster Linie Arbeitnehmende in leitenden Positionen sowie Personen mit erhöhter Autonomie in besonderen Funktionen. Die Entwicklung ist weit verbreitet und im Dienstleistungssektor besonders stark ausgeprägt. Daher werden seit mehreren Jahren Gespräche zwischen den Sozialpartnern geführt, in der Absicht, die Modalitäten der Arbeitszeiterfassung flexibler auszugestalten und sie damit an die Realitäten der heutigen Erwerbstätigkeit (z.B. flexible Arbeitszeiten, Home Office) anzupassen. • Der andere wichtige Erfolgsfaktor der Schweizer Wirtschaft ist die funktionierende Sozialpartnerschaft. Die Vorschriften rund um die Erfassung der Arbeitszeiten und deren Umsetzung sind ein wichtiges Element für die sozialpartnerschaftliche Vertrauensbasis. Deshalb muss ihnen die entsprechende Beachtung geschenkt werden. • Arbeitszeiterfassung heisst nicht in jedem Fall Stempeluhr. Es gibt andere bewährte und unbürokratische Möglichkeiten, die Arbeitszeiten zu erfassen, die nach wie vor zulässig bleiben (IT-Login als Zeitpunkt des Arbeitsbeginns, Definition eines allgemeinen Arbeitsmodells und nur Erfassen der individuellen Abweichungen davon, von Hand geführte Excel-Tabellen, fixer Schichtplan, etc.). Der Arbeitgeber kann die Erfassung der Arbeitszeiten an seine Arbeitnehmenden delegieren. Der Arbeitsmarkt soll nicht mit zusätzlichen administrativen Vorgaben belastet werden. • Die Arbeitszeiterfassungspflicht gemäss Arbeitsgesetz gilt nur für die diesem Gesetz unterstellten Betriebe, Arbeitnehmenden und Sachverhalte. Ausgenommen sind beispielsweise Familienbetriebe im Sinne von Artikel 4 Arbeitsgesetz oder Angestellte mit einer höheren leitenden Tätigkeit im Sinne von Artikel 3 Buchstabe d des Arbeitsgesetzes, die sozusagen eine Arbeitgeberfunktion erfüllen. Auch Auslandreisen werden von den Bestimmungen des Arbeitsgesetzes nicht abgedeckt. • Bestehende unbürokratische Zeiterfassungsmöglichkeiten sollen bestehen bleiben. Es soll nicht eine neue Bürokratie geschaffen werden. Es darf nicht wegen formalistischen Vorgaben zur Schmälerung der Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen kommen. • Die Bestimmungen zur Arbeitszeit stellen einen Grundpfeiler der Sozialpartnerschaft dar. Folglich braucht es verlässliche und verständliche Indikatoren, um deren Einhaltung zu gewährleisten. Hierbei geht es sowohl um die Gesundheit der Arbeitnehmenden als auch um die Interessen der Unternehmen. • Die gesetzlich verankerte Dokumentationspflicht ist nicht bürokratischer Zwang, sondern nützliches Hilfsmittel für sämtliche Akteure der Arbeitswelt. Sie ist eine Bedingung für die Beantragung von Kurzarbeitsentschädigung. • Ziel der Revision ist eine Anpassung an die Realitäten der heutigen Erwerbstätigkeit unter Wahrung des Arbeitnehmerschutzes. Über die Modalitäten der Arbeitszeiterfassung sind sich die Sozialpartner uneinig. Auf der einen Seite wird ausdrücklich eine Flexibilisierung der Erfassungs- und Dokumentationspflicht erwartet; auf der anderen Seite wird mit Verweis auf die gesetzliche Regelung eine Schwächung des Arbeitnehmerschutzes befürchtet. Das zwischen 2009 und 2011 in einigen Unternehmen des Bankensektors durchgeführte Pilotprojekt hat keine direkt anwendbare Lösung hervorgebracht: Die in der Folge in der Eidgenössischen Arbeitskommission EAK geführten Diskussionen endeten in einer Sackgasse. Eine neue Vorlage, auf der Grundlage einer Lohngrenze, wurde schliesslich als die geeignetste Lösung erachtet und Ende 2012 in die Vernehmlassung gegeben. Die Ergebnisse dieses Verfahrens (vgl. Anhörungsberichte) zeigen allerdings, dass die Positionen der wichtigsten Akteure nach wie vor sehr weit auseinander liegen und die Lösung damit nicht auf genügend Akzeptanz stösst . Daher verzichtet das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) darauf, die Vorlage in ihrer aktuellen Form dem Bundesrat zu unterbreiten, und wird stattdessen Anpassungen vornehmen lassen. Die Lösung einer Lohngrenze scheint heute dennoch der gangbarste Weg zu sein. Sie erlaubt eine Flexibilisierung innerhalb von objektiv messbaren Kriterien und betrifft zudem Personen, die tatsächlich über eine höhere Autonomie verfügen und Aufgaben bewältigen, die mehr Flexibilität verlangen. Solche Funktionen werden meist auch mit überdurchschnittlichen Löhnen entschädigt. Einer der hauptsächlichen kritisierten Punkte des in die Vernehmlassung gegebenen Textes war sein zu pauschaler Charakter: die Festlegung einer für alle Branchen geltenden, einheitlichen Lohngrenze hätte zwar einen einfacheren Vollzug ermöglicht. Die Regelung hätte hingegen den massiven Unterschieden in der Lohnstruktur zwischen den Wirtschaftsbranchen zu wenig Rechnung getragen. Vor diesem Hintergrund wird das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) die Revisionsvorlage mit dem Ziel einer besseren Differenzierung zwischen den Branchen überarbeiten. Eine variable Lohngrenze soll festgelegt werden, die gegebenenfalls mit Kriterien in Bezug auf die im Unternehmen ausgeübte Funktion verbunden werden könnte. Wie in der zuvor vorgeschlagenen Lösung soll die Befreiung von der Arbeitszeiterfassung ein Verfahren sein, das zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden vereinbart werden kann. Die neue Vorlage im Rahmen der Verordnung schliesst eine allfällige Gesetzesanpassung zu einem späteren Zeitpunkt nicht aus. Die angepasste Vorlage wird mit den Dachverbänden der Sozialpartner diskutiert und anschliessend der EAK unterbreitet, bevor sie einem neuen Anhörungsverfahren unterzogen wird. Dieses Vorgehen wird einen Aufschub der Revision mit sich bringen. In der Zwischenzeit bleibt die ArGV 1 in ihrem aktuellen Wortlaut anwendbar und die Arbeitszeiterfassung ist weiterhin für alle dem ArG unterstellten Arbeitnehmenden in geeigneter Weise zu dokumentieren. Diese Übergangslage bringt unweigerlich eine gewisse Unsicherheit mit sich. Die Situation ist jedoch vertretbar, um zu einer angemessenen Lösung zu gelangen. Das Finden einer Lösung innert nützlicher Frist ist realistisch, wenn alle betroffenen Akteure die nötige Bereitschaft dazu aufweisen.
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