Die Abholzung des Regenwaldes ist nicht das einzige Problem Die Orang-Utans auf Sumatra sind vom Aussterben bedroht. Dass diese Menschenaffenart erst kürzlich einen drastischen Populationsrückgang zu verzeichnen hatte, belegen jetzt Anthropologen der Universität Zürich. Erstmalig haben sie die genetische Beschaffenheit und das Migrationsverhalten dieser Tiere erforscht.
Als man auf Sumatra den Regenwald grossflächig abgeholzt hatte, um Palmöl-Plantagen anzulegen, wurden einst riesige Waldgebiete auf einen Bruchteil ihrer ursprünglichen Grösse reduziert, und ehemals zusammenhängende Waldflächen wurden voneinander isoliert. Heute leben in vielen dieser Waldstücke nur noch wenige Dutzend Orang-Utans - und diese könnten längerfristig stark gefährdet sein: Denn die räumliche Isolation kann zu genetischer Verarmung und Inzucht führen, beides erhöht das Risiko, dass diese kleinen, lokalen Populationen aussterben. Mit der Studie der Anthropologen der Universität Zürich, welche im «Journal of Heredity» publiziert wird, liegen nun erstmals Erkenntnisse zur genetischen Struktur vor, die für den Schutz der Art von Nutzen sind und diesbezüglich auch zuversichtlich stimmen. Die Orang-Utan-Population auf Sumatra unterteilt sich in mehrere Subpopulationen, die jedoch nicht die Folge der industriellen Abholzung sind, sondern einen natürlichen Ursprung haben. Die Populationsstruktur wurde über Jahrtausende durch natürliche Hindernisse wie Flüsse und Bergketten geschaffen und aufrecht erhalten. Junge männliche Orang-Utans reisen weit - und sichern das Überleben ihrer Art für den Erhalt der Art ist wesentlich, dass zwischen den genetisch stark differenzierten Subpopulationen ein genetischer Austausch stattfindet. So fanden die Autoren der Studie mehrere Orang-Utans, die zwar in der jeweiligen Region geboren wurden, in der sie aufgefunden wurden, deren Väter aber ein charakteristisches genetisches Profil eines anderen Teils der Insel haben. Dies ist ein klarer Hinweis, dass junge männliche Orang-Utans weite Distanzen zurücklegen, um sich fernab ihres Geburtsortes niederzulassen. «Damit schlagen sie zwei Fliegen mit einer Klappe», folgert Alexander Nater, Erstautor der Studie, und erklärt: «Sie vermeiden einerseits den Konflikt mit den lokalen dominanten Männchen und erhöhen dadurch ihre Chancen, sich erfolgreich fortzupflanzen, gleichzeitig reduzieren sie so auch das Risiko, sich mit eng verwandten Weibchen ihres Geburtsortes zu paaren.» Die ausgeprägte Dominanzstruktur der männlichen Sumatra-Orang-Utans stellt somit einen natürlichen Mechanismus dar, der den genetischen Austausch zwischen den verschiedenen Regionen der Insel über weite Distanzen hinweg gewährleistet. Da das Inland von Sumatra bis in grosse Höhen bewaldet ist, können die jungen männlichen Orang-Utans Bergketten überwinden und grosse Flussläufe im Quellgebiet umgehen. Dank ihrer ausgesprochenen Reiselust reduzieren sie auch weitgehend mögliche negative Konsequenzen der auch durch die industrielle Abholzung verursachten Habitat-Fragmentierung. Und dies schliesslich lässt für den Fortbestand dieser stark gefährdeten Menschenaffenart hoffen. Genetische Vielfalt verweist auf grosse Population Als ein weiteres Resultat konnten die Autoren zeigen, dass ein dramatischer Populationsrückgang der Orang-Utans erst in jüngster Zeit stattgefunden hat: «Die Tiere aus einem der untersuchten Gebiete der Westküste zeigen einen sehr hohen Grad an genetischer Diversität», erläutert Alexander Nater. «Diese genetische Vielfalt ist ein klarerer Indikator für eine historisch grosse Population. Da jedoch in dieser Gegend derzeit nur rund 400 Orang-Utans leben, muss davon ausgegangen werden, dass die Population erst vor Kurzem dramatisch abgenommen hat.» Um die genetischen Informationen zu erhalten, analysierten die Autoren Kot- und Haarproben wild lebender Orang-Utans, welche im ganzen derzeitigen Verbreitungsgebiet auf Sumatra gesammelt wurden. Um auch die nur schwer zugänglichen Regionen mit sehr geringem Vorkommen der scheuen Menschenaffen abzudecken, haben sie zudem mit Blutproben von Tieren gearbeitet, welche illegal als Haustiere gehalten und später von den Behörden konfisziert wurden. Artenschutz bedingt Strategiewechsel Damit die Orang-Utans tatsächlich geschützt werden können, ist ein Strategiewechsel beim Artenschutz nötig: Haben sich die Artenschutzkampagnen bislang vor allem auf die Torfsumpfwälder an der Nordwestküste Sumatras konzentriert, wo sowohl Orang-Utans in hoher Dichte leben als auch ein grosses Interesse an wirtschaftlicher Nutzung besteht, legen die neuen Erkenntnisse nahe, gezielt jene Regenwaldgebiete zu schützen, die für den genetischen Austausch innerhalb der Insel eine wichtige Rolle spielen. Mit den neuen Ergebnissen sollte sich der Fokus insbesondere auch auf die wirtschaftlich weniger interessanten, bergigen Inlandregionen in Nordsumatra richten: «Diese Bergwälder beherbergen selber zwar keine lebensfähigen Orang-Utan-Populationen, man darf ihren Wert für den Schutz dieser Art aber keinesfalls unterschätzen, weil die wandernden Orang-Utan-Männchen diese Habitate auf der Suche nach der nächsten Population durchqueren und so die genetische Vielfalt aufrechterhalten. In der Strategie zur Erhaltung der Sumatra-Orang-Utans sollte diesen Bergregionen daher eine wichtige Rolle zukommen», zieht der Anthropologe und Mitautor der Studie, Carel van Schaik das Fazit für den Artenschutz. Literatur: Alexander Nater, Natasha Arora, Maja P. Greminger, Carel P. van Schaik, Ian Singleton, Serge A. Wich, Gabriella Fredriksson, Dyah Perwitasari-Farajallah, Joko Pamungkas, and Michael Krützen. Marked population structure and recent migration in the critically endangered Sumatran orangutan (Pongo abelii). Journal of Heredity. October 16, 2012. doi: 10.1093/jhered/ess065.
|