Auswirkungen von Schwefelsäure- und Ammoniakdämpfen überschätzt Vom Menschen verursachte Aerosole wirken in der Atmosphäre kühlend. Klimaforscher nehmen an, dass sie einen Grossteil des anthropogenen Treibhauseffekts kompensieren. Allerdings müssen sich die Partikel zum Teil in der Atmosphäre erst neu bilden. Diesen bisher kaum untersuchten Prozess, die Nukleation, nimmt das CLOUD-Experiment am CERN (CLOUD = Cosmics Leaving OUtdoor Droplets), an dem auch Forscher des Paul Scherrer Instituts PSI beteiligt sind, unter die Lupe. Dabei wurde erstmals ein Teilchenbeschleuniger für die Untersuchung von Vorgängen in der Atmosphäre eingesetzt. Der erzeugte Teilchenstrahl simulierte dabei die kosmische Strahlung. Die Ergebnisse zeigen: die Beschreibungen der Aerosolbildung in Klimamodellen muss revidiert werden. Über ihre Arbeit berichten die Forschenden in der neuesten Ausgabe des Wissenschaftsjournals Nature. Natürliche Aerosole wie Seesalzpartikel oder Sandstaub reflektieren in der Atmosphäre Sonnenlicht und bilden Keime für Wolkentröpfchen. Neben den natürlichen Aerosolpartikeln gibt es auch eine Vielzahl von Partikeln, die durch Menschen in die Atmosphäre gelangen. Ein Teil der Partikel entsteht dort erst neu durch die Zusammenlagerung von Molekülen. Dieser unter dem Begriff "Nukleation" bekannte Vorgang war bisher nicht richtig verstanden. In Klimamodellen berücksichtigt man ihn durch Korrekturen aus theoretischen Berechnungen oder man passt die Ergebnisse nachträglich an Beobachtungen an. Die dadurch entstehenden Unsicherheiten lassen sich nun durch exakte experimentelle Daten des CLOUD-Experiments erheblich verringern. Untere Atmosphärenschichten: Viele verschiedene Moleküle an der Aerosolentstehung beteiligt Wie ein internationales Forscherteam unter Mitwirkung von Atmosphärenforschern des Paul Scherrer Instituts (PSI) in der Fachzeitschrift "Nature" berichtet, sind Schwefelsäure und Ammoniakdämpfe, die bisher als wahrscheinlichste Ausgangsstoffe für die Nukleation in der Atmosphäre galten, alleine nicht ausreichend, um die beobachteten Effekte zu erklären. Simuliert man die Vorgänge in der Atmosphäre unter kontrollierten experimentellen Bedingungen mit den üblicherweise vorhandenen Mengen an Ammoniak und Schwefelsäure, beobachtet man nur ein Zehntel bis ein Tausendstel der in der untersten Atmosphäre gemessenen Nukleationsraten. "Ich freue mich sehr, dass damit die Resultate aus Experimenten in der Smogkammer des PSI bestätigt wurden, dass neben Schwefelsäure noch andere Moleküle beteiligt sind," kommentiert Prof. Urs Baltensperger vom Labor für Atmosphärenchemie des Paul Scherrer Instituts PSI. Jene Resultate waren April 2010 in der Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences publiziert worden. "Aufgrund dieser ersten Resultate von CLOUD ist nun klar, dass die Beschreibung der Aerosolnukleation in Atmosphären- und Klimamodellen umfassend revidiert werden muss. Ausserdem geht es darum, die weiteren chemischen Verbindungen zu charakterisieren, die zur Nukleation und ihren Effekten beitragen." Obere Atmosphärenschichten: Kosmische Strahlung unterstützt Aerosolbildung Ein weiteres wichtiges Ergebnis von CLOUD ist, dass die von der kosmischen Strahlung verursachte Ionisation der Atmosphäredie Nukleation bis zum Zehnfachen verstärkt. Dieser Effekt ist insbesondere bei den kalten Temperaturen der mittleren und oberen Troposphäre ausgeprägt. Dort wird die Nukleation bereits durch Schwefelsäure- und Wasserdampf ausgelöst, ohne dass weitere Substanzen notwendig sind. Ob kosmische Strahlen einen signifikanten Einflussfaktor für das Klima darstellen, hängt aber letztlich davon ab, welche anderen Substanzen an der Nukleation beteiligt sind und wie sie von Ionen beeinflusst werden. Dabei interessiert die Forscher besonders, ob die Verbindungen aus menschgemachten oder natürlichen Quellen stammen. Untersuchen wollen sie auch, inwieweit die Aerosolnukleation die Eigenschaften der Wolken im Endeffekt verändert. Klimaforschung mit Teilchenbeschleuniger CLOUD ist das erste Klimaexperiment, das die in einem Teilchenbeschleuniger erzeugten Teilchen nutzt, um den Einfluss der kosmischen Höhenstrahlung auf die Bildung neuer Aerosolpartikel zu untersuchen. Die speziell für diesen Zweck entwickelte Kammer besteht aus einem vier Meter hohen Zylinder, in dem die Forscher Aerosolpartikel und Wolken unter kontrollierten Bedingungen entstehen lassen. Temperatur, relative Feuchte, Ionisierung und die Konzentrationen der Spurengase lassen sich extrem genau kontrollieren. "Das Besondere an der CLOUD-Kammer ist, dass wir das Mass an störenden und die Messung verfälschenden Verunreinigungen geringer halten können, als in allen bisherigen Experimenten", erklärt Prof. Joachim Curtius von der Universität Frankfurt, ein weiterer an dem Projekt beteiligter Forscher. CLOUD verwendet die weltweit beste Instrumentierung, um die extrem niedrigen Konzentrationen der Spurengase genau zu messen. Unter anderem wurde dazu am PSI ein sehr empfindliches Gerät zum Nachweis von Ammoniak entwickelt. Ausserdem verfolgt ein von der Firma Aerodyne neuentwickeltes Messgerät die Entstehung der sich neu bildenden elektrisch geladenen molekularen Cluster vom einzelnen Molekül bis zum fertigen Partikel und misst deren chemische Zusammensetzung und Wachstum. Eine weitere Besonderheit ist, dass Nukleationsprozesse unter verschiedenen Bedingungen miteinander verglichen werden können. Denn Spurengase werden einerseits durch die natürliche kosmische Strahlung ionisiert. Zum Vergleich können Messungen mit zusätzlicher Ionisierung durch einen Teilchen-Strahl vom Teilchenbeschleuniger des CERN durchgeführt werden oder solche, bei denen die Einflüsse der Ionen vollständig unterdrückt werden. Wie altert Feinstaub - Experimente am Paul Scherrer Institut Parallel zu den weiteren Experimenten am CERN wird auch die Smogkammer des PSI weiterhin in zahlreichen Experimenten genutzt werden, allerdings ohne Einsatz eines Teilchenbeschleunigers. In diesen Experimenten wird es vor allem um das Altern der neu gebildeten Partikel gehen, und darum, welche Quellen wie viel zur gesamten Aerosol-(Feinstaub)masse beitragen. Text auf Grundlage der Pressemitteilung der Goethe-Universität Frankfurt am Main
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