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Kenia: «Wenn Menschenrechte Zeit brauchen»
Bericht von Patricio Frei

Der 10. Dezember ist Tag der Menschenrechte. Diese wurden vor 62 Jahren verabschiedet. Doch noch heute werden täglich grundlegende Rechte verletzt. Beispielsweise in Kenia, wo Mädchen beschnitten werden. Hier setzt sich Fastenopfer für das Recht auf körperliche Unversehrtheit ein. Es ist auch ein Kampf für Schulbildung und die Veränderung von Traditionen.

In Kenia sind Frauenbeschneidungen seit 1989 verboten. Dennoch sind sie noch immer weit verbreitet. Viele Bevölkerungsgruppen erachten sie als wesentlichen Bestandteil der Riten, die den Übergang von der Kindheit in die Welt der Erwachsenen markieren.

Nur eine beschnittene Frau wird als vollwertiges und heiratsfähiges Mitglied der Gesellschaft anerkannt, findet einen Mann und erhält das Recht, ihre Kinder später zu verheiraten.

Die Mädchen werden kurz vor oder während der Pubertät von traditionellen Hebammen beschnitten.

Die meisten Mädchen kehren danach nicht mehr in die Schule zurück und werden von ihren Eltern auf die bevorstehende Heirat vorbereitet.

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation sind weltweit über 100 Millionen Frauen und Mädchen an den Genitalien beschnitten. In Afrika sind jedes Jahr drei Millionen Mädchen von solchen Eingriffen bedroht. Ihr Recht auf physische und geistige Unversehrtheit wird nicht respektiert – 62 Jahre nach der Erklärung der Menschenrechte.

Todesfälle und Langezeitfolgen

Die Beschneidung wird auf unterschiedliche Arten ausgeführt: In der leichten Form wird die Klitoris entfernt. Oft werden zusätzlich die kleinen Schamlippen weggeschnitten. Der schmerzvolle Eingriff erfolgt ohne Betäubung und oft mit nicht sterilisierten Instrumenten. Dies führt in vielen Fällen zu massiven Blutungen, Infektionen (insbesondere auch HIV) und Todesfällen. Langzeitfolgen sind chronische Schmerzen und massive körperliche Beschwerden bei Geburt und Menstruation. Dazu kommt eine seelische Traumatisierung.

In Kenia ist die Frauenbeschneidung noch immer ein Tabuthema, auch wenn die Presse vermehrt über Mädchen und Frauen berichtet, die sich vor Gericht erfolgreich dagegen gewehrt haben. In der Region von Loita, wo über 90% der Bevölkerung Massai sind, versucht die Organisation Emutare oo Ntoyie (Eoon) dieses Tabu zu durchbrechen.

Netzwerke für Familien

Mit Unterstützung des Fastenopfers motiviert sie Eltern, ihre Töchter an einem alternativen Übergangsritual teilnehmen zu lassen und auf die Beschneidung zu verzichten. Eoon begleitet und berät die Familien vor und nach der Zeremonie und baut ein Netzwerk von Familien mit unbeschnittenen Mädchen auf. Zudem bildet sie Multiplikatoren aus, hält Workshops mit Stammesführern ab und sensibilisiert an den Schulen die Kinder für Gleichberechtigung. Die Gesprächspartner sollen dazu motiviert werden, die Rechte der Mädchen anzuerkennen und zu stärken.

So im Dörfchen Entashata, wo sich dank Eoon eine Gruppe von zehn Müttern, die ihre Töchter nicht beschneiden lassen wollen, gebildet hat. Zu ihnen gehört Normeiseyieki Simpano. Die Frauen der lokalen Gruppe hatten sie ermutigt, mit ihrem Mann zu sprechen, damit er der Tochter Masikonde endlich eine Uniform kauft und sie zur Schule schickt. Der Vater willigte zwar ein, liess seinen Worten aber keine Taten folgen. Bis schliesslich George Makooi, der Animator von Eoon, dem Vater in einem Gespräch nochmals die Wichtigkeit einer Ausbildung erklärte. Diesen Sommer war es dann soweit: Mit elf Jahren besuchte Masikonde erstmals die Schule. "Jetzt kann sie eine Persönlichkeit werden", sagt ihre Mutter voller Stolz. Mit dem Eintritt in die Schule ist ein erster Schritt gemacht, dass ihre Tochter nicht beschnitten wird.

Schule mit Schlüsselfunktion

Der Schule kommt beim Kampf gegen die Beschneidung eine Schlüsselfunktion zu: dort werden die Mädchen und Knaben für das Thema sensibilisiert.

Zum Beispiel veranstaltet Eoon monatliche Debatten, in denen Schülerinnen und Schüler provokative Aussagen wie "Es ist sinnvoller, ein Mädchen als einen Jungen auszubilden" diskutieren. Ziel ist es, dass sich Knaben und Mädchen bewusst werden, dass die Rechte der Mädchen und Frauen in den Massai-Gemeinschaften gestärkt werden müssen.

Bei diesem Projekt muss sich die lokale Bevölkerung mit ihrer traditionellen Lebenskultur auseinandersetzten, damit es zu Veränderungen kommen kann.

Eine der Ältesten des Nachbardorfes Olorte betont: "Um unsere Massai-Kultur zu bewahren, müssen wir uns weiter entwickeln. Sonst haben die Massai keine Zukunft." Veränderungen aber können nur gelingen, wenn der Wunsch nach ihnen aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Hier kommt eine zentrale Stärke des Projektes zum Tragen: die Verankerung in der lokalen Bevölkerung.

Die Mitarbeiter von Eoon stammen und wohnen in der Region, so auch der Direktor Amos Simpano. Alle gehören sie dem Massai-Volk an.

Ziel: 20% unbeschnittene Mädchen

Eoon setzt sich engagiert für die Menschenrechte ein. Doch bei einem komplexen Thema wie der Beschneidung geht es nur schrittweise voran. Es wird noch viel Zeit und Energie vergehen, bis die Projektziele erreicht sind: Der Anteil der unbeschnittenen jungen Frauen soll von 5 auf 20% steigen, mindestens die Hälfte der Mädchen die Primarschule abschliessen.

Bereits gibt es Frauen, die nicht beschnitten wurden, und dennoch einen Ehemann fanden. Das gibt Mut. Doch bis in Kenia das Menschenrecht auf physische und geistige Unversehrtheit respektiert wird, ist es noch ein langer Weg. "Kultur wandelt sich nur sehr langsam", sagt denn auch eine der Frauen aus Normeiseyieki Simpanos Gruppe. Doch die Arbeit von Eoon und Fastenopfer hat in ihr Hoffnung geweckt: "Ich bin überzeugt, dass die Veränderung mit der nächsten Generation kommen wird."

Quelle: Text und Bilder Fastenopfer Schweiz, 2014
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