Altersarmut in der Schweiz: Gibt es das noch - trotz AHV und Ergänzungsleistungen? Heutige Armut lässt sich nicht mit früheren Verhältnissen vergleichen, aber sie ist weiterhin vorhanden. Die Studie «Leben mit wenig Spielraum. Altersarmut in der Schweiz» von Pro Senectute vermittelt Eindrücke einer verdrängten Wirklichkeit. Der grösste Teil der Rentnerinnen und Rentner in der Schweiz geniesst dank sozialpolitischer Errungenschaften eine hohe materielle Sicherheit. Aber längst nicht alle älteren Menschen leben im Wohlstand. In keiner Altersgruppe sind Einkommen und Vermögen ungleicher verteilt als bei den über 60-Jährigen. Rund zwölf Prozent der Altersrentnerinnen und -rentner benötigen Ergänzungsleistungen (EL) - würden somit zu den Armen zählen, wenn es diesen Sozialtransfer nicht gäbe. Schätzungsweise drei bis vier Prozent der Altersbevölkerung bleiben trotz EL arm. Pro Senectute kennt die Problematik von Armut im Alter gut. Viele jener rund 34'000 Männer und Frauen, die alljährlich bei den Sozialberatungsstellen der Pro-Senectute-Organisationen Rat und Hilfe suchen, leben in finanziell äusserst knappen Verhältnissen. Pro Senectute engagiert sich auf vielfältige Weise gegen die Altersarmut und setzt sich für den Anspruch auf angemessene Existenzsicherung im Alter ein. Sozialberatung ist eine Kernleistung von Pro Senectute. Sie steht im Zentrum des diesjährigen Schwerpunktes ihrer öffentlichkeitsarbeit. Im Rahmen dieses Schwerpunktthemas veröffentlicht Pro Senectute eine Studie unter dem Titel «Leben mit wenig Spielraum. Altersarmut in der Schweiz». Autoren sind die Soziologin Amélie Pilgram und Kurt Seifert, Leiter des Bereichs Forschung & Grundlagenarbeit von Pro Senectute Schweiz. Die
Studie beruht auf der Darstellung des aktuellen Kenntnisstandes zur wirtschaftlichen
Lage der Rentnerinnen und Rentner in unserem Land. Ausserdem gibt sie Einblick
in die Tätigkeit der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in der
Sozialberatung von Pro Senectute mit von materiellen und anderen Problemen
betroffenen Menschen. In der Studie werden Vorschläge zur weiteren
Verminderung der Altersarmut unterbreitet.
Dies hat mit dem Nicht-oder nur teilweisen Bezug von zustehenden Bedarfsleistungen zu tun - aber auch damit, dass die Ergänzungsleistungen (EL) und allfällige kantonale bzw. kommunale Zusatzleistungen nicht alle notwendigen Lebenshaltungskosten abdecken. Zudem können so genannte Schwelleneffekte auftreten, wenn die Einkünfte der Betroffenen knapp über dem im Gesetz festgelegten Existenzminimum liegen, das frei verfügbare Einkommen aber kleiner ist als jenes von EL-Bezügerinnen und Bezügern. Gemäss Berechnungen des Altersexperten François Höpflinger bleiben drei bis vier Prozent der Altersrentnerinnen und -rentner trotz EL arm. Rund 12 Prozent der Altersrentnerinnen und -rentner in der Schweiz benötigen Ergänzungsleistungen, würden somit zu den Armen zählen, wenn es diese Transferleistungen nicht gäbe. Die OECD rechnet sogar mit einem Armutsanteil von 18 Prozent der AltersBevölkerung (vor Transferleistungen). Das medial verbreitete Bild der «reichen Rentner» trifft nur einen Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Eine Minderheit von Rentnern und Rentnerinnen in wirtschaftlich sehr guten Verhältnissen prägt heute die öffentliche Wahrnehmung des Alters. Weniger Beachtung findet die Tatsache, dass in keiner Altersgruppe Einkommen und Vermögen ungleicher verteilt sind als bei den über 60-Jährigen. Während jedes fünfte Rentnerpaar über ein Bruttovermögen von über einer Million Franken verfügt, besitzt jeder zehnte Rentnerhaushalt weniger als 10'000 Franken Vermögen. Die Chancen, Vermögen zu bilden bzw. es nach der Pensionierung erhalten zu können, sind nicht zufällig verteilt, sondern hängen mit dem sozialen Status zusammen. Für einen beachtlichen Teil der Rentnerhaushalte sind die verfügbaren Alterseinkommen kleiner geworden, weil der Anteil von Zwangsausgaben wie Steuern und Sozialversicherungen sowie der Miete und Nebenkosten am Gesamteinkommen seit 1990 stetig zugenommen hat. Fälle von Verschuldung im Alter nehmen derzeit deutlich zu. Armut bedeutet für viele Betroffene neben materieller Einschränkung vor allem ein Mehr an Zwängen und ein Weniger an Wahlfreiheiten. Die Stiftung «Pro Senectute» kennt durch die Tätigkeit der Sozialberatung deren Probleme sehr genau. Viele jener rund 34'000 Frauen und Männer, die alljährlich bei den ca. 130 Sozialberatungsstellen von Pro Senectute Rat und Hilfe suchen, leben in finanziell äusserst knappen Verhältnissen. Oft liegt der Ursprung ihrer wirtschaftlichen Benachteiligung in Umständen, die weit in der Lebensgeschichte zurückliegen. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen spielen dabei ebenso eine Rolle wie biographische Ereignisse. Sosehr
sich die Notlagen vieler armutsbetroffener älterer Menschen auch gleichen:
Die Stiftung Pro Senectute engagiert sich auf vielfältige Weise gegen die Altersarmut. In der Sozialberatung finden ältere Menschen mit wirtschaftlichen und anderen Problemen eine niederschwellige Anlaufstelle, die ihnen weiterhilft. Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter von Pro Senectute machen für ihre Klientinnen und Klienten sozialversicherungsrechtliche Ansprüche geltend und unterstützen sie gegebenenfalls auch finanziell - durch Mittel der Individuellen Finanzhilfe, welche der Bund zur Verfügung stellt, sowie stiftungseigene Ressourcen. Jährlich rund 15'000 Personen sind auf solche Zuschüsse angewiesen. Die Sozialberatung vermittelt Kontakte zu anderen Dienstleistungen von Pro Senectute und unterstützt ihre Klientinnen und Klienten bei der Aktivierung ihrer eigenen Kräfte zur Veränderung ihrer Lage. Pro Senectute setzt sich für den Anspruch auf angemessene Existenzsicherung ein - und bleibt damit ihrer über 90-jährigen Geschichte treu, auch wenn sich die heutige Altersarmut in Ausmass und Gestalt von jener zu Beginn des 20. Jahrhunderts deutlich unterscheidet. Die Studie sieht sozialpolitischen Handlungsbedarf im Bereich der Steuergesetzgebung und plädiert für einen Ausbau der Ergänzungsleistungen. Steuerverpflichtungen
gehören zu den häufigsten Risikofaktoren für Armut im Alter.
Kommt hinzu, dass die geltende Steuergesetzgebung Rentnerhaushalte je nach
Wohnort und Zusammensetzung des Einkommens sehr ungleich behandelt. Eine
einheitliche Regelung zur Steuerentlastung von Rentnerhaushalten mit tiefen
Einkommen wäre deshalb dringend nötig. Die Ergänzungsleistungen
haben in den vergangenen Jahren mit den steigenden Kosten für Miete
und Energie nicht Schritt gehalten. Eine Anpassung der Wohnzuschüsse
im Bundesgesetz über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen-und
Invalidenversicherung (ELG) wäre jetzt fällig. Die Studie schlägt
ausserdem vor, einen soziokulturellen Grundbedarf im ELG zu verankern.
Sie fordert unter anderem auch eine Garantie gegenüber Fürsorgeabhängigkeit
aufgrund von Pflegebedürftigkeit im Alter. Die Studie sieht weitere
Handlungsmöglichkeiten der privaten Altershilfe beim Ausbau treuhänderischer
Begleitdienste.
Pro Senectute ist die grösste Fach- und Dienstleistungsorganisation der Schweiz im Dienst der älteren Menschen. Die 1917 gegründete Stiftung richtet ihre Tätigkeit am Wohl, der Würde und den Rechten der älteren Menschen aus. Pro Senectute ist in jedem Kanton mit einer Geschäftsstelle und national mit rund 130 Beratungsstellen präsent. Pro Senectute ist eine von der Stiftung ZEWO zertifizierte gemeinnützige Organisation.
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