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Armut
in der Schweiz |
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Schweiz Armut |
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Schweiz Armut |
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Sozialstaat
Schweiz: Altersarmut 2009 |
Pro
Senectute: Studie zur Altersarmut - Ergänzende Informationen |
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Armut
im Alter ist passé; ein Restposten, der ausläuft und sich vernachlässigen
lässt. So lautet eine gängige Annahme, die leider nicht zutrifft. Ein Drittel der Pensionierten lebt in der
Schweiz von der AHV. Die Renten reichen knapp - oder gar nicht. Zwölf
Prozent der Personen im AHV-Alter sind auf Ergänzungsleistungen angewiesen.
Weitere Anspruchsberechtigte verzichten darauf, diese Leistungen zu beantragen,
die ihnen gesetzlich zustehen, aber, wie die AHV, gerne als grosszügige
Geschenke hingestellt werden. Dass die Renten rentieren, wird selten thematisiert.
Und wer, wie Amélie Pilgram und Kurt Seifert, die «Altersarmut
in der Schweiz» (Pro Senectute 2009) studiert, stösst damit
nicht nur auf Verständnis. Denn die Armut im Alter passt nicht zum
Selbstbild der Schweiz.
Gegenläufige
Trends
Gewiss,
die Armut im Alter hat sich in der Schweiz seit der Einführung der
AHV und der Ergänzungsleistungen erheblich entschärft. Die beiden
Begriffe alt und arm lassen sich längst nicht mehr gleich setzen.
Das ist erfreulich. Allerdings gibt es auch gegenläufige Entwicklungen.
So sind die Vermögen und Einkommen bei den älteren Menschen ungleicher
verteilt als bei den übrigen Altersgruppen. Vielen Haushalten fehlen
finanzielle Reserven. Nominell steigen die durchschnittlichen Einkommen
zwar. Aber die verfügbaren Einkommen sind in etlichen Altershaushalten
gesunken.
Die Ausgaben für Steuern, Versicherungen und das Wohnen
fallen bei kleinen Budgets besonders ins Gewicht. Davon zeugt, dass die
Verschuldung im Alter wieder zugenommen hat. Das ist alarmierend. Die reiche
Schweiz muss diese Rückschritte angehen. Um die finanziellen Probleme
zu bewältigen, ist politischer Wille gefragt. Weitere Anstrengungen
sind nötig, damit möglichst alle Menschen am gesellschaftlichen
Geschehen teilhaben können. Ein erster Schritt besteht darin, die
Armut im Alter wieder stärker wahr zu nehmen. Das fördert auch
die Akzeptanz notwendiger Unterstützung.
In finanzieller Hinsicht
sind die Ergänzungsleistungen zu erhöhen, unbürokratischer
zu gewähren und auf weitere Haushalte auszuweiten, die zu wenig Einkommen
haben. Die reiche Schweiz hat genügend Mittel für diese Mehrausgaben.
Sie bedeuteten auch eine Wertschätzung alter Menschen. Geld allein
genügt aber nicht. Ebenfalls wichtig ist die Beteiligung am gesellschaftlichen
Leben, soweit gesundheitliche Einschränkungen diese Teilhabe ermöglichen.
Und das fordert uns und unsere Gesellschaft doppelt heraus. Zum einen,
weil arme Alte weniger gesund sind; zum andern, weil sie sich mehr zurückziehen.
Da sind weitere soziale Angebote und Infrastrukturen zu entwickeln, die
Brücken schlagen. Damit sie zum Tragen kommen, ist auch die Sinnfrage
mehr zu stellen und in den Alltag zu integrieren. Denn es gibt auch eine
Armut in unserem Geist. Sie äussert sich im kurzsichtigen Bestreben,
alles möglichst schneller drehen zu lassen. Weiter führt die
schier subversive Frage: Wozu das alles?
Kontroverse
Diskurse
Die
Lebenserwartung verlängert sich. Auch die Zeit, während der alte
Menschen aktiv sein können. Pensionierte sind heute gesünder
und besser ausgebildet als früher. Sie wollen eigene Bedürfnisse
befriedigen und gesellschaftlich nützlich sein. Das ist kein Widerspruch.
Allerdings gibt es rüstige Alte und solche, die weniger rüstig
sind. Wer auf psycho-soziale Unterstützung angewiesen ist, verursacht
Kosten. Diese werden, wie die Zunahme alter Menschen, häufig problematisiert.
Die Optik der Effizienzoptimierung dominiert aktuelle Diskurse. Sie konzentriert
sich auf ökonomische Aspekte und dokumentiert eine neue Oberflächlichkeit.
Was macht der Mensch aus dem, was die Verhältnisse aus ihm machen,
fragt die Existenzphilosophie. Wenn wir Diskurse über das Alter erörtern,
müssen wir den gesellschaftlichen Kontext einbeziehen, in dem diese
stattfinden. Und da zeigen sich, wie erwähnt, gegenläufige Entwicklungen.
Auch bei den Alterstheorien. Frühere Defizitkonzepte gingen von starren
Lebensphasen aus. Sie sind erfreulicherweise nahezu passé. Heute
zählt die persönliche Kompetenz.
Ressourcen orientierte Ansätze
rücken eigene Interessen und Fähigkeiten in den Vordergrund.
Mit dem zunehmenden Anteil alter Menschen und den steigenden Kosten sind
allerdings auch andere Trends feststellbar. Davon zeugen despektierliche
Schlagzeilen über die so genannte Rentnerschwemme oder überalterung.
Wer soll das bezahlen? So lautet eine häufige Frage.
Das
Umlageverfahren bei der AHV erweckt den Anschein, immer weniger Junge müssten
die Renten von immer mehr Alten finanzieren. Alte Menschen haben ihre Renten
jedoch selber verdient. Sie haben viel gesellschaftlich nützliche
Arbeiten verrichtet, auch wenn diese, wie teilweise Betreuungsaufgaben,
durch keine Sozialversicherungen abgedeckt sind. Zudem gibt es immer noch
mehr unter 20-Jährige als über 65-Jährige. Das wird oft
übersehen.
Die Anteile der alten Menschen nehmen wohl zu, aber nach
dem Jahr 2040 gehen sie wieder zurück; dann kommt der Pillenknick
mit den geburtenschwachen Jahrgängen ins Alter. Zudem macht es wenig
Sinn, die Erwerbstätigen nur mit den Personen zu vergleichen, die
Renten beziehen. Ein konstanteres Verhältnis ergibt sich, wenn wir
die Jugendlichen und Kinder einbeziehen. Sie verursachen auch Kosten, wobei
diese privatisiert sind. Hinzu kommt: Die AHV-Leistungen haben eine hohe
Wertschöpfung. Sie sind keine Geschenke. Renten rentieren. Ein beachtlicher
Teil der AHV-Auszahlungen geht über die Mieten und den Konsum direkt
in die Wirtschaft zurück. Diese Ausgaben tragen dazu bei, konjunkturelle
Schwankungen auszugleichen und den sozialen Zusammenhalt zu fördern.
Hinzu kommt das soziale Engagement vieler alter Menschen.
Ungewöhnliches
ausprobieren
In
einzelnen Gemeinden mischen sich Seniorenräte öffentlich
ein. ältere Menschen engagieren sich auch im familiären Umfeld.
Grosseltern betreuen in der Schweiz jährlich über hundert Millionen
Stunden ihre Enkelkinder, wie der von Pasqualina Perrig und andern herausgegebene
«Generationenbericht Schweiz» (Seismo, Zürich 2008) veranschlagt.
ältere Menschen pflegen auch Hochbetagte. Ihre Leistungen betragen
allein im eigenen Haushalt über eine Milliarde Franken.
Die gesamte
unbezahlte Arbeit, welche die Haus-, Familien-und Freiwilligenarbeit umfasst,
macht in der Schweiz laut Bundesamt für Statistik 250 Milliarden Franken
aus. Bei Debatten über alte Menschen geht es aber nicht nur um das
Geld, sondern auch um ängste und Verunsicherungen. Sie äussern
sich darin, graue Haare als bedrohlich zu empfinden und in der Werbung
auf Jugendlichkeit zu setzen. So gibt es Betagte, die schon ein schlechtes
Gewissen haben, wenn sie während Stosszeiten eine Strassenbahn benutzen
oder sich auf einer öffentlichen Bank ausruhen. Alte scheinen ein
Kostenfaktor zu sein, die meinen, ihre Lebensberechtigung mit Arbeit und
einer terminbefrachteten Agenda belegen zu müssen.
Wir
haben heute gute Chancen, Lebensqualität im Alter zu verwirklichen.
In hundert Jahren haben sich in der Schweiz die Lebenserwartung verdoppelt,
die Lebensarbeitszeit halbiert und die Reallöhne vervielfacht. Zeit
und Geld sind vorhanden. Eine hohe Lebensqualität im Alter ist möglich,
aber nicht selbstverständlich.
In der Schweiz lebt in jedem dritten
Haushalt eine allein stehende Person, in Städten in jedem zweiten.
Die Individualisierung vereinzelt die Menschen. Sie erhöht aber auch
unsere Wahlmöglichkeiten. Die Lebensentwürfe sind vielfältiger
geworden. Wir dürfen Ungewöhnliches ausprobieren. Das verlangt
von uns, Grenzen zu setzen. Denn wir müssen nicht alles tun, was wir
tun können.
Noch selten waren unsere Chancen, Lebensqualität
im Alter zu verwirklichen, so gut und bedroht wie heute. Daher sollten
wir auch ab und zu fragen, ob es im Leben darum geht, ein beliebig austauschbares
Rädchen in einem mechanistischen Modell zu sein, das hektisch funktioniert.
Vielleicht könnten gerade ältere Menschen mehr Gelassenheit in
die Gesellschaft bringen.
Neue
Verbindlichkeit
Zwangsgeborgenheiten
und enge soziale Kontrollen prägten kleinräumige, gemeinschaftliche
Lebensweisen. Sie machen verständlich, weshalb viele Menschen städtische
Freiheiten und sachlich distanzierte Sozialbeziehungen favorisieren. Diese
erweisen sich aber als recht brüchig und kühl. Das mag die Bereitschaft
fördern, wieder verbindlichere soziale Beziehungen einzugehen, und
zwar nicht aus Angst oder Not, sondern frei gewählt. Neue Komplexitäten
erfordern und fördern auch ein Differenzierungsvermögen, das
pluralistische Strukturen berücksichtigt.
ältere Identitätskonzepte
basierten auf relativ einheitlichen sozialen Voraussetzungen. Die viel
gepriesene Authentizität strebte eine möglichst umfassende persönliche
Kongruenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit an. Heute ist es jedoch unabdingbar,
Identitäten zu entwickeln, die vielfältige Widersprüche
zulassen und in der Lage sind, mit Offenheiten umzugehen, ohne alles offen
zu lassen und in Beliebigkeit abzudriften. Neue Identität zeichnet
sich durch die Bereitschaft aus, Ambivalenzen einzugestehen. Sie entsagt
jener bedrückenden Gemütlichkeit, die trügerisch Halt verspricht.
Ja,
die Alten von morgen engagieren sich, weil sie Lust dazu haben und gefragt
sind. Sie kommen ohne überfrachtete Agenda und Alltagshektik aus.
Sie betrachten körperliche Beschwerden nicht als persönliche
Schwäche. Sie sagen, dass ihnen das älterwerden auch Mühe
macht. Die Alten von morgen stehen zu ihren Falten. Sie berichten gerne,
aber nicht aufdringlich von ihren Erfahrungen. Sie können zuhören,
sind neugierig, einfühlsam und auch für Junge interessant, weil
sie nicht nur an die Arbeit denken, sondern die Sinnfrage in den Alltag
integrieren. Hoffentlich gelingt's.
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Fallbeispiele |
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Von
Beginn weg schlechte Karten
Frau
L. hat nie einen Beruf gelernt. Als Bauerntochter wuchs sie in ärmlichen
Verhältnissen auf, heiratete früh und wurde Mutter. Als ihr Mann
verstarb, war sie 40. Um sich und ihre sechs Kinder über Wasser zu
halten, ging Frau L. von da an putzen. Immer wieder traf das Schicksal
die Familie hart. Kraft schöpfte Frau L. in diesen Momenten aus ihrem
Glauben.
Heute lebt sie von ihrer AHV-Rente, erhält eine kleine Ergänzungsleistung
und bewohnt eine Alterswohnung in ihrem Heimatort. Zwar muss sie für
das Appartement monatlich 150 Franken von ihrem Lebensbedarf abzweigen,
aber darüber beschwert sie sich nicht. Wirklich zu schaffen macht
ihr die jährliche Steuerrechnung. 250 Franken muss sie wegen ihrer
ganz ansehnlichen AHV-Rente jeden Monat auf die Seite legen, damit sie
Ende Jahr das Geld zusammenhat. Ihre Steuererlassgesuche wurden bisher
alle abgelehnt.
Mit ihren Söhnen und Töchtern fühlt sich
Frau L. seit den gemeinsam durchlebten schweren Zeiten sehr eng verbunden.
Besuche bei ihren Kindern und deren Familien sind ihr «Lebenselixier».
Sie ist deshalb froh, dass sie von Pro Senectute monatlich einen kleinen
Zustupf erhält. So kann sie hie und da mit den öffentlichen Verkehrmitteln
zu ihrer weit verstreuten Verwandtschaft reisen. Nächstes Jahr wird
Frau L. 80. Seit sie weiss, dass sie sich im Notfall immer an ihre Sozialberaterin
wenden könnte, blickt sie zuversichtlicher in die Zukunft.
Alle
Jahre wieder
Frau
W. ist, wie früher auch ihr Mann schon, regelmässig auf die Unterstützung
von Pro Senectute angewiesen. Die 72-jährige Ergänzungsleistungs-Bezügerin
kommt eigentlich gut zurecht. Sie hat einen grossen Bekanntenkreis und
bewältigt ihren Alltag problemlos alleine. In finanzielle Schwierigkeiten
gerät sie nur, wenn ausserordentliche Ausgaben anfallen - wie damals,
als ihr Mann verstarb.
Die Beerdigungskosten konnte sie nicht bezahlen.
Schon allein die Todesanzeige schlug mit 1'400 Franken zu Buche. Ein schönes
Inserat war Frau W. eben sehr wichtig. Pro Senectute half mit einer einmaligen
IF-Leistung aus und unterstützte Frau W. bei der Regelung des Nachlasses.
Sie lebt noch immer in der gemeinsamen Wohnung, welche für eine Person
allein eigentlich zu teuer ist. Aber die vertraute Umgebung hilft ihr,
den Verlust des Mannes besser zu verkraften. Sie spart lieber woanders.
Ihre neue Brille hätte sie alleine allerdings nicht finanzieren können,
und bei den Steuern wird es fast immer knapp.
Sie
ist froh, dass sie die Stundungs-und Erlassgesuch gemeinsam mit ihrem Sozialberater
schreiben kann. Seit die Energiepreise so gestiegen sind, braucht sie nun
auch zur Begleichung der Heiz-und Nebenkostenrechnungen einen finanziellen
Zustupf. Im Moment ist gerade alles ruhig. Spätestens dann, wenn wieder
einmal unvorhergesehene Kosten anfallen oder die neue Steuerveranlagung
eintrifft, wird Frau W. aber erneut auf Unterstützung angewiesen sein
- daran wird sich auch im nächsten Jahr nichts ändern.
Ein
Jahr für die Katz
Herr
und Frau M. waren bereits hoch verschuldet, als sie Kontakt zu Pro Senectute
aufnahmen. Einige Jahre zuvor hatte Herr M. sein Pensionskassenguthaben
ausgelöst und sich selbständig gemacht. Das Geschäft lief
nicht. Die Eheleute mussten Konkurs anmelden. Sie verloren ihr Haus und
waren gezwungen einen Grossteil ihres Besitzes zu versteigern. Um die verlorene
Altersvorsorge ihres Mannes wenigstens teilweise zu ersetzen, war Frau
M. noch so lange wie möglich als Lehrerin tätig. Trotzdem reichte
das Geld nach ihrer Pensionierung nicht. Die Steuerrechnungen blieben unbezahlt.
Zu den alten Schulden kamen neue hinzu.
Abklärungen von Pro Senectute
ergaben, dass das Paar geraden keinen Anspruch auf Ergänzungsleistung
hat. Hätte sich Frau M. ein Jahr eher zur Ruhe gesetzt, läge
der Fall anders. Wegen eines Einnahmenüberschusses von monatlich 35
Franken haben Herr und Frau M. kein Anrecht auf Hilfe vom Bund. Vor allem
aber können sie auch bei der Gemeinde keine Unterstützung geltend
machen. Das macht im Jahr mehrere Tausend Franken aus. Um ihren Eltern
die Schmach einer Betreibung zu ersparen, haben die Kinder nun das Geld
für die Steuerschulden zusammengekratzt. Und weil die Eheleute regelmässig
ihre Enkelin hüten und sich die alleinerziehende Tochter im Gegenzug
an den Mietkosten der beiden beteiligt, können sie - zumindest vorerst
- in ihrer Wohnung bleiben.
Herr und Frau M. müssen sich sehr stark
einschränken, aber dank der Beratung und dem Beistand von Pro Senectute
sehen sie, wie sie selbst sagen, nun wieder einen Weg vor sich.
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Quelle:
Text Pro Senectute, Mai 2009 |
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