Neue Studie zur Klimageschichte Die Stärke des Golfstromes wurde in den zurückliegenden 30 000 Jahren massgeblich von der Meereis-Situation in der Framstrasse beeinflusst. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in einer neuen Studie, die heute im Fachmagazin Earth and Planetary Science Letters erscheint. Den Geologen ist es darin zum ersten Mal gelungen, anhand von Biomarkern in Ablagerungen am Meeresboden zu rekonstruieren, wann und wie lange das Meeresgebiet zwischen Grönland und Spitzbergen in der Vergangenheit von Eis bedeckt war und auf welche Weise der Golfstrom reagierte, als die Meereisdecke plötzlich zerbrach. Fazit: Trieben grosse Mengen arktischen Eises durch die Framstrasse in den Nordatlantik, verringerte sich der Wärmetransport des Golfstromes spürbar. Die gemeinsamen Messkampagnen der russischen und deutschen Forscher in den vergangenen Jahren belegen: Die Durchschnittstemperatur des Meerwassers im arktischen Sommer ist um drei bis vier Grad Celsius angestiegen. Der Sommer an der sibirischen Küste ist um drei bis vier Wochen länger geworden, weil der Frühling früher und der Beginn der Meereisbildung im Herbst später einsetzt.
Die dadurch hervorgerufene Umwälzung des Wassers treibt wie eine riesige Pumpe das globale Band der Meeresströmungen an und beeinflusst unter anderem, wie viel Wärme der Golfstrom Richtung Europa transportiert", sagt die Wissenschaftlerin. Verändert sich die Pulsfrequenz dieser Strömungspumpe, zieht das unmittelbare Veränderungen des Klimas nach sich - so geschehen zum Beispiel am Ende der vergangenen Eiszeit und während des Überganges in unsere heutige Warmzeit. "In den zurückliegenden 30 000 Jahren hat der Golfstrom mindestens zweimal aussergewöhnlich stark an Kraft verloren - einmal vor 17 600 Jahren und vor etwa 12 800 Jahren. Beide Male kühlte sich infolgedessen das Klima in Europa deutlich ab - und wir wissen jetzt auch warum", sagt Juliane Müller. Ihr und ihrem AWI-Kollegen Ruediger Stein ist es als erste Wissenschaftler gelungen, die Meereis-Bedingungen in der Framstrasse für diesen kritischen Zeitraum am Ende der letzten Eiszeit zu rekonstruieren und somit einen direkten Zusammenhang zwischen Änderungen der Meereisbedeckung und den Schwankungen des Golfstroms herzustellen. Als Fenster in die Vergangenheit diente den Geologen dabei ein neun Meter langer Sedimentbohrkern. Er war vor sieben Jahren auf einer Framstrassen-Expedition des Forschungsschiffes Maria. S. Merian gebohrt worden und verfügt über so klar voneinander abgegrenzte Schichten, dass die Wissenschaftler in ihm lesen können wie in einem Buch. "Dieser Kern stammt vom westlichen Kontinentalhang Spitzbergens, einer Region mit einer ungewöhnlich hohen Sedimentationsrate. Das heisst, dass hier sehr viele Sedimentpartikel - die Speicher der Klimainformationen - zum Meeresboden rieseln. Nur so erklärt sich, dass wir in diesem Kern auf einer Länge von einem Zentimeter die Klimadaten von fünf bis zehn Jahren finden, während es bei Kernen aus partikelarmen Regionen schnell mal 1000 Jahre pro Zentimeter Bodenprobe sein können. Und 1000 Jahre sind natürlich ein viel zu langer Zeitraum, um kurzzeitige Klimaschwankungen überhaupt eindeutig identifizieren zu können", erklärt Juliane Müller. Als Hinweise auf die Existenz einer Eisdecke und deren Dicke dienten Juliane Müller zwei Arten fossiler Moleküle, auch Biomarker genannt. Die eine Art wird von Kieselalgen produziert, die im Meereis leben, die andere von Algen, welche das offene Wasser bevorzugen. "Die Marker gewähren uns überraschende Einblicke in die Klimageschichte der Framstrasse. So wissen wir jetzt, dass sich in der Framstrasse erst nach dem eigentlichen Höhepunkt der letzten Eiszeit eine dicke Eisdecke gebildet hat. Sie hielt dann allerdings für rund 1000 Jahre und beeinflusste die Meeresströmungen im Nordatlantik nachhaltig", sagt Juliane Müller. Denn: Die Eisdecke verzögerte den Zerfall der grossen Eisschilde, die damals weite Teile Europas und Nordamerikas bedeckten. "Das Meereis stabilisierte wie eine Staumauer die Gletscherfronten dieser Eisschilde und verhinderte das Kalben von Eisbergen. Der Export von Süsswasser aus der Arktis in den Nordatlantik, der andernfalls enorm ausgefallen wäre, wurde also für eine gewisse Zeit aufgehalten", erklärt die Geologin. Als die Eisdecke dann vor 17 600 Jahren in ausgesprochen kurzer Zeit zerfiel, ergossen sich riesige Eismassen in den Nordatlantik. Dort schmolzen sie und setzten grosse Mengen Süsswasser frei. "Dieses plötzliche Aussüssen des Nordatlantiks veränderte die Dichtestruktur des Wassers und führte zu einer deutlichen Abschwächung der atlantischen Umwälzbewegung, oder vereinfacht gesagt, zu einer Schwächung des Golfstroms", sagt Juliane Müller. Sie wird die neu gewonnenen Daten nun den AWI-Klimamodellierern zur Verfügung stellen. "Mit Hilfe dieser konkreten Daten können wir überprüfen, wie zuverlässig unsere Modelle die Meereis-Situation der vergangenen 30 000 Jahre abbilden. Auf diese Weise helfen uns die Daten der Vergangenheit, unsere Modelle zu verbessern und infolgedessen genauere Aussagen zur Zukunft des Golfstromes treffen zu können", so Juliane Müller. Originalarbeit: Juliane Müller / Ruediger Stein: High-resolution record of late glacial and deglacial sea ice changes in Fram Strait corroborates ice-ocean interaction during abrupt climate shifts. Earth and Planetary Science Letters, DOI: 10.1016/j.epsl.2014.07.016
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