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Laos: Gemeinsam ein neues Dorf zeichnen
Bericht von Max Sigrist

Laos könnte ein reiches Land sein. Doch die überwiegend bäuerliche Bevölkerung lebt von der Hand in den Mund. Aber Hoffnung besteht: Khankham Doungsila und ihr vom Fastenopfer unterstütztes Team engagieren sich für eine wirkliche Entwicklung - von unten.

Das Dorf Phonsawang erwacht: Der Büffel unter dem Haus auf Stelzen ist aufgestanden. Ein verspäteter Hahn kräht. Rauch steigt auf. Das Feuer wird mit einem Span von Haus zu Haus getragen. Die Frauen, nachher die Männer, begeben sich zu den wenigen Latrinen oder zur Morgentoilette auf ein bestimmtes Feld. Zum Frühstück gibt es Klebreis und ein bisschen Gemüse.

Heute ist ein besonderer Tag. Khankham Douangsila und ihr Team von zwei jungen Frauen und Männern ist zu Besuch. Zusammen mit den Männern und Frauen im Dorf und mit einer Schar höchst interessierter Kinder wird sie auf die Entwicklungsaktivitäten des letzten Jahres Rückschau halten. In der Fachsprache nennt man das Evaluation.

Khankham ist eine kleine, zähe Frau von 49 Jahren. Nach der Machtübernahme der Kommunisten 1975 studierte sie Landwirtschaft in der ehemaligen Sowjetunion. «Was ich dort in langen Jahren mühsam lernte, konnte ich nach meiner Rückkehr nur bedingt anwenden; die kolchosenartigen Betriebe mit entsprechend grossen Maschinen bewährten sich in Laos nicht.»

Die Dörfer in den Hügeln leisteten passiven Widerstand. Nicht bewusst, sondern auf Grund der Tradition, denn der Besitz wird dort matrilinear vererbt: Nach der Hochzeit zieht der Ehemann ins Haus der Schwiegereltern. Das Land bleibt in der Hand der Frauen, die sich weigerten, es für soziale Experimente herzugeben.

Khankham unterscheidet sich in nichts von den Bäuerinnen, die langsam dem Versammlungsplatz zustreben. Sie trägt heute den traditionellen Wickelrock, made in Phonsawang, hier im Dorf gewoben. Khankham ist für ein Konsortium von Hilfswerken tätig, unter ihnen das Fastenopfer, dessen Büro sich in der weit entfernten Hauptstadt Vientiane befindet. Sie arbeitet am liebsten in einem der 46 Dörfer, die vom Programm der Hilfswerke abgedeckt werden. Khankham ist mit Herz und Seele dabei und verlangt, dass ihr Team, wie sie selbst, möglichst viel Zeit in den entlegenen Dörfern verbringt. «Die Bauern befolgen unsere Ratschläge nur, wenn wir mit ihnen ihre Feste feiern, wenn wir mit ihnen trauern, wenn wir ihre Sprache sprechen, wenn wir keine Fremdkörper sind.»

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Im Dorf ankommen

Das Dorf Phonsawang erreichte vor zwei Jahren eine gewisse lokale Berühmtheit. Lange hatte das Dorf keinen eigenen Lehrer. Der kam vom drei Kilometer entfernten Nachbardorf. Manchmal erschien er nicht und während der Regenzeit fiel der Unterricht tagelang aus. Das gefiel den Eltern gar nicht. Wahrscheinlich erhielt der Lehrer seinen Lohn verspätet und unregelmässig, was seinen Enthusiasmus dämpfte. Eine junge Frau mit Primarlehrerdiplom aus dem Dorf, die nicht mehr ins Budget des Distriktes passte, erklärte sich bereit, einzuspringen. Nach einer langen Diskussion beschloss die Dorfbevölkerung, ihre Lehrerin selbst zu finanzieren. Jeder Haushalt beteiligt sich mit einem Kilogramm Reis pro Monat. Bei 36 Familien entspricht dies einem Jahreslohn von 432 kg oder umgerechnet etwa 120 Franken. Auf den ersten Blick eine einfache Geschichte. Sie zeigt aber, dass ein neuer Geist im Dorf eingezogen ist: der Geist der Solidarität.

Khankham Douangsila sagt: «Wir selbst haben in vielen Jahren einen langen Entwicklungsweg zurückgelegt. Es hat lange gedauert, bis wir, im übertragenen Sinn, wirklich in den Dörfern angekommen sind. Unser Weg lässt sich mit der Distanz vom bequemen Vientiane hinunter ins Dorf vergleichen. Zuerst bewegst du dich auf einem ebenen Highway, dann gelangst du auf die durchlöcherte Landstrasse, du folgst einer Abzweigung zu einem Karrenweg, der einem Bachbett gleicht und während der Regenzeit auch eines ist, und schliesslich ein schmaler Pfad, der im Gestrüpp verloren geht. So lässt sich der Weg ins Dorf mit dem Werdegang unserer Arbeit vergleichen. Im Dorf packten wir unseren geistigen Rucksack mit teilweise vorgemachten Ideen aus. Es gab einige Hindernisse zu überwinden. Wir fanden zwar dankbare Empfänger. Nur: Sobald wir weg waren, ging vieles schnell wieder vergessen.»

Am Anfang steht das Vertrauen

Die Dorfversammlung formiert sich. Es gesellen sich auch Männer zu den Frauen beim Brunnen. Der Eingeweihte sieht auch hier sofort eine Veränderung. Früher hielten sich die Frauen diskret im Hintergrund und schwiegen, bis sie eventuell aufgefordert wurden, ihre Meinung abzugeben. Das ändert sich langsam: ein grosser Fortschritt. Frauen und Männer sitzen in kleinen Gruppen zusammen: in einer Reisbankgruppe, einer Wassernutzergruppe, einer Büffelbankgruppe, einer Spargruppe. Wie entstanden diese Gruppen?

In der Vergangenheit wurden eher einzelne Aktivitäten durchgeführt. Jetzt ist die Arbeit in den Dörfern in einen gemeinsamen Prozess eingebunden, in dem die Leute lernen, ihre Situation anzuschauen, ihre Bedürfnisse zu formulieren und selber Lösungen zu finden.

Wenn das Team in ein Dorf kommt, geht es vorerst um Vertrauensbildung, darum, mit den Leuten Gespräche zu führen, ihre Häuser, Gärten und Felder zu besuchen, bei ihnen zu essen und zu schlafen. Wie funktioniert das Dorf? Welche Interessen und Bedürfnisse haben die Menschen? Wer ist ganz arm und wer ist weniger arm? Was ist an lokalem Wissen und an Traditionen vorhanden?

Dann wird ein Dorfentwicklungsplan zusammengetragen, meist zeichnerisch. Für viele ist es das erste Mal, dass sie farbige Stifte in Händen halten. Es sind immer wieder dieselben grundlegenden Bedürfnisse, nämlich sauberes Wasser, eine Schule für die Kinder, eine Strasse zum Dorf und das Wichtigste: genügend Reis für das ganze Jahr.

Eine Bank auf Stelzen

Jetzt werden mit den Leuten Lösungsmöglichkeiten diskutiert. Sie lernen, dass sie gemeinsam ein Problem besser bewältigen können. Zum Beispiel als Reisbankgruppe. Es besteht Informationsbedarf. Denn auch das einfache Prinzip der Reisbank müssen die Menschen zuerst begreifen.

Üblicherweise wird eine Reisbank während der Pflanzzeit im Mai und Juni eröffnet. Vom Fastenopfer und den anderen Hilfswerken erhält die Bank ein Startkapital von beispielsweise einer halben Tonne Reis. Ein Bauer borgt sich 12 kg Reis für die Saat aus und muss nach der Ernte 15 kg zurückzahlen. Pro Familie kann jeder Bauer maximal zehn solcher Einheiten borgen.

Die Bank hat zudem eine soziale Verpflichtung: Sie muss auch alleinerziehende Frauen und Landlose begünstigen, die unter Umständen nur die Hälfte oder weniger zurückzahlen können. Das funktioniert gut, denn im Dorf besteht eine engmaschige soziale Kontrolle. Das Bankgebäude ist ein Vorratsraum auf Stelzen, sicher vor Wasser, Mäusen, Ratten und anderen Dieben.

Zwei Schritte vorwärts, einen zurück

In der Versammlung erzählen die einzelnen Gruppen, wie sie ihre Aufgaben gelöst haben. Eine Frauengruppe mochte nicht länger auf die Männer warten und grub einen sieben Meter tiefen Brunnen, dessen Wände sie selber sicherte. Das hat die Frauen in ihrem Zusammenhalt gestärkt. Ein weiterer Entwicklungsschritt.

Khankham lächelt zufrieden: «Es geht immer zwei Schritte vorwärts und nur einen zurück! Auch wir sogenannten Dorfberater haben viel gelernt. Es ist ein Geben und Nehmen.» Und das ganze Dorf spricht darüber, wie der Staat dazu gebracht werden kann, mehr für das Dorf zu tun. Wann kriegen wir eine Strasse? Wie Elektrizität?

Anschliessend wird eine Delegation im nahen Wäldchen die Geister in ihren kleinen Häusern um Beistand und Begleitung bitten, damit alles im Gleichgewicht bleibt, was bereits ein bisschen durcheinander geraten ist. Denn nur gut hundert Kilometer von Phonsawang entfernt herrscht eine andere Welt voller lauter Mopeds, Autos und Fernsehern, die Thai-Boxveranstaltungen zeigen. Alles in Farbe.

Quelle: Text Fastenopfer Schweiz, 2009

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Quelle: Fastenopfer
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