Bisher beschränken sich die internationalen Klimaziele darauf, den Temperaturanstieg zu begrenzen. Sollen aber auch der Anstieg des Meeresspiegels, die Versauerung der Ozeane und der landwirtschaftliche Ertragsausfall eingedämmt werden, müssen die CO2-Emissionen noch stärker sinken. Dies zeigt eine in «Nature» publizierte Studie der Universität Bern. Das grosse Ziel der internationalen Klimapolitik besteht darin, eine gefährliche Beeinflussung des Klimasystems durch den Menschen zu verhindern. Dazu sollen die Treibhausgase auf einem für Mensch und Umwelt verträglichen Niveau stabilisiert werden. Dieses Klimaziel wird gewöhnlich mit einer Zunahme der globalen Mitteltemperatur um höchstens zwei Grad seit Beginn der Industrialisierung konkretisiert. Eine Stossrichtung, die von der Mehrheit der Regierungen der Welt anerkannt wird. Nun aber zeigt eine Studie von Berner Klimaforschern, dass die Fokussierung auf die Temperaturzunahme allein keineswegs ausreicht, um das grosse, übergeordnete Ziel - den Schutz des Klimasystems vor gefährlicher Beeinflussung durch den Menschen - zu erreichen. Denn: Das Klimasystem umfasst laut Rahmenabkommen der Vereinten Nationen von 1992 die «Ganzheit der Atmosphäre, der Hydrosphäre, der Biosphäre, Geosphäre und deren Interaktionen». Zudem verlangt das Rahmenabkommen ebenfalls die Nachhaltigkeit von Ökosystemen und der Nahrungsmittelproduktion. All dies lässt sich kaum durch das Zwei Grad-Ziel allein realisieren. Daher schlagen Dr. Marco Steinacher, Prof. Fortunat Joos und Prof. Thomas Stocker in ihrer soeben in der Fachzeitschrift «Nature» publizierten Arbeit eine Kombination von sechs verschiedenen spezifischen globalen und regionalen Klimazielen vor. Denn, so schreiben sie, ein globales Temperaturziel sei «weder genügend noch geeignet», um weitere für Bevölkerung und Ökosystemleistungen ebenfalls relevante Schäden zu vermeiden. Dazu gehören insbesondere: der Anstieg des Meeresspiegels, die Versauerung der Ozeane, welche unter anderem die Korallenriffe bedroht, und die landwirtschaftlichen Ertragsausfälle. Realistische Entwicklungspfade Hauptverantwortlich für diese Umweltveränderungen ist der Ausstoss des Treibhausgases CO2, welches bei der Verbrennung von fossilen Energieträgern entsteht. In Modellberechnungen zeigen die Forscher nun, welche CO2-Emissionen gerade noch zulässig wären, um die vorgeschlagenen differenzierten Ziele zu erreichen. Grundlage der Berechnungen ist eine breite Palette von Treibhausgas-Szenarien, die auf realistischen wirtschaftlichen Entwicklungspfaden aufbauen. «Wir können nun zeigen, welcher totale CO2-Ausstoss in den kommenden Jahrzehnten tragbar wäre, um jedes einzelne der zusätzlichen Klimaziele - etwa gleich bleibende Produktion der Landwirtschaft und Stabilisierung der Ozeane - zu erreichen», sagt Marco Steinacher, der Hauptautor der Studie. Und die Forscher stellen die entscheidende Frage, was geschehen müsste, damit keines der Klimaziele verfehlt würde. Ihre unmissverständliche Antwort: Die CO2-Emissionen müssen noch deutlich weiter gesenkt werden als dies das zwei Grad-Ziel vorsieht. «Wenn wir alle Ziele zusammen berücksichtigen, muss der CO2-Ausstoss doppelt so stark reduziert werden wie wenn wir einzig das Zwei Grad-Ziel erreichen wollen», so Steinacher. Als besonders anspruchsvoll hat sich in den Simulationen die Vorgabe herausgestellt, die Versauerung der Ozeane zu stoppen. Dazu muss vor allem der CO2-Ausstoss massiv reduziert werden. Die drei Forscher, alles Mitglieder des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung der Universität Bern, empfehlen, weitere Studien dieser Art durchzuführen. Dazu sollten jedoch von Politik und Gesellschaft weitere relevante Klimaziele festgelegt werden. «Welche Umweltveränderungen wir noch akzeptieren wollen, und welche Risiken wir bereit sind einzugehen, ist schlussendlich eine gesellschaftliche und politische Frage. Der ständig steigende CO2-Ausstoss verringert aber unseren Handlungsspielraum zunehmend», sagt Fortunat Joos. Für politische Entscheidungsträger, so betonen die Klimaphysiker, sei es wichtig, dass unterschiedliche Klimaziele auf quantitative Weise mit den vom Menschen verursachten Treibhausgasen verknüpft würden. In Zukunft, so die Studie, werde sich auch das Erreichen von Klimazielen simulieren lassen, die stärker auf die Folgen des Klimawandels ausgerichtet sind. Zum Beispiel Extremereignisse wie Hochwasser und Hitzewellen. Doch noch ist die Computerleistung für den Betrieb von komplexen Erdsystemmodellen nicht vorhanden, die für solche Simulationen notwendig ist. Aufwändige Rechenarbeit Ermöglicht wurde die Studie durch die Anwendung des an der Universität Bern entwickelten Erdsystemmodells «Bern3D-LPJ». Das Modell ist in der Lage, eine Vielzahl von wichtigen physikalischen und biogeochemischen Prozessen zu simulieren und dabei auch Aussagen über deren regionale Entwicklungen zu machen. Diese Angaben sind für das Formulieren vieler zusätzlicher Klimaziele erforderlich - zum Beispiel das Verhindern einer Versauerung der Ozeane in den Tropen. Das Berner Modell ist so effizient, dass die für die Studie nötigen rund 65'000 Simulationen in wenigen Wochen gerechnet werden konnten - und es erlaubt auch, abzuschätzen, mit welchen Wahrscheinlichkeiten die Klimaziele erfüllt werden können. Dies ist mit den meisten anderen derzeit existierenden Erdsystemmodellen nicht möglich. Angaben zur Publikation: Marco Steinacher, Fortunat Joos, Thomas F. Stocker: Allowable carbon emissions lowered by multiple climate targets. Nature, 3. Juli 2013, doi:10.1038/nature12269.
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