Wie Jigmed (da in Nepal viele denselben Nachnamen haben, dient der Vorname zur Personenbezeichnung) gehen viele Karmarong im Frühling auf Pilzsuche. Dabei sind sie vom Volk der Mugali abhängig, auf deren Weiden sich die Raupenpilze finden. Eine Abhängigkeit, die Konfliktpotenzial in sich birgt.
Ernte reicht bloss fünf Monate Jigmed ist 31-jährig, verheiratet und Vater zweier Töchter (6 und 4 Jahre). Seine Familie ist arm. Sie besitzen nur einen kleinen Fleck Land. Mit Hilfe eines Ochsens pflügt er ihn in sechs Tagen. Die Ernte vermag die Familie bloss fünf Monate zu ernähren. Eine Dürre hat die letzte Ernte zusätzlich geschmälert. Jigmed blickt nachdenklich: «Der Ertrag von Weizen, Gerste und Kartoffeln ist um die Hälfte zurückgegangen. Und bei der Hirse sieht es ähnlich schlimm aus.» Im Stall hat die Familie vier Jhowas (eine Kreuzung zwischen Yak und Hochlandrind) und ein Hochlandrind. Jigmed arbeitet auch für KCDC (Karani Community Development Centre), eine Partnerorganisation des Fastenopfers, und erhält dafür ein kleines Entgelt.
2007 erhielt Jigmed keine Erlaubnis, auf den Weiden Raupen zu sammeln. Die Mugali warfen ihm vor, die Arbeit der KCDC sei gegen sie gerichtet. Zwei Tage versuchte er, die Mugali zu überzeugen, dass er nie schlechte Absichten gegen sie hatte. Doch die Mugali trauten ihm nicht und drohten ihn umzubringen. Schliesslich flüchtete er unter Todesangst. Letztes Jahr zog Jigmed wieder zu den Weiden, zusammen mit zwei Freunden. Diesmal durfte er wieder Raupenpilze sammeln, allerdings war die Zutrittsgebühr um 500 Rupien (6.90 Franken) höher. Jigmed ist ein guter Sammler. 2008 fand er in 20 Tagen 600 Raupenpilze, im letzten Jahr waren es in 22 Tagen 500. Unterschiede übergangen Eigentlich gibt es das Volk der Karmarong gar nicht. Das Gesetz für die Entwicklung der Indigenen Völker aus dem Jahr 2002 hat bloss die Existenz von 59 Völkern in Nepal anerkannt. Die Karmarong wurden übergangen. Trotz der Unterschiede zwischen Karmarong und Mugali in Sprache, Tradition und Kultur.
Die Karmarong dürfen nur einmal im Jahr in einem bestimmten Monat bei den Handelsposten an der Grenze mit Tibet Waren tauschen. Eine klare Benachteiligung gegenüber den Mugali, die jederzeit und beliebig oft Handel treiben dürfen. Der Zugang zum Handelsposten ist überlebenswichtig. Nur hier können die Karmarong Grundnahrungsmittel wie Reis, Mehl, Tee, Salz, Öl kaufen. Neue Namensgebung zeugt von Selbstbewusstsein Nun erwacht das Volk der Karmarong! Die KCDC versucht, seine Identität und das Bewusstsein für seine Rechte zu stärken. Dazu hat sie elf Aktivisten aus zehn Dörfern in Menschenrechten ausgebildet und zu Fürsprechern befähigt. Untereinander diskutieren sie Bedürfnisse der Karmarong und Gemeinsamkeiten. Die Aktivisten bringen in den Dörfern Diskussionen in Gang und leiten die Jhomsa, ein traditionelles Diskussionstreffen. KCDC ist eine junge Organisation, die von CAED (Centre for Agro-Ecology and Development) begleitet, ausgebildet und sensibilisiert wird. Fastenopfer unterstützt CAED finanziell und methodisch. Dank KCDC können Stammesangehörige in ihrer Identitätskarte «Karmarong» als Familienname angeben. Bereits haben rund 150 Personen ihre neue Identitätskarte mit dem Familiennamen «Karmarong» erhalten. Zeichen eines neuen Selbstbewusstseins. Die Karmarong spüren zunehmend Stolz auf ihre Identität. Auch Jigmed Lama würde gerne «Karmarong» als seinen Familiennamen setzen, aber er hatte seinen Ausweis vor der Neuerung erhalten. Die Bedeutung der Anerkennung KCDC arbeitete auch daran, dass die Karmarong in der Liste der Indigenen Völker Nepals aufgenommen wird. Dazu gründete sie eine Organisation der Karmarong. Und bald schon wird die Organisation ein Buch über die Karmarong herausgeben. Kürzlich hat die Regierung eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die eine Überarbeitung der Liste der Indigenen Völker prüft. Die Anerkennung ist für die Karmarong ganz zentral. Sie erhoffen sich, dass die Regierung sie in ihrer gesellschaftlichen, schulischen, wirtschaftlichen, und kulturellen Entwicklung unterstützt. Und natürlich ist da der Wunsch nach einem Ende der Unterdrückung. Dennoch: Unter den Karmarong gibt es viele Ängste, dass die Konflikte weiter zunehmen. Die Mugali könnten die Gründung der Organisation missdeuten, dass sie gegen ihr Volk gerichtet sei. Sie könnten den Karmarong das Sammeln von Raupenpilzen, den Zugang zu den Handelsposten oder Darlehen verweigern. Jigmed Lama beschwichtigt: «Die Karmarong wollen nur die Beziehung zu unseren Nachbarn verbessern. Wir wollen nur gerecht behandelt werden.» Verbesserungen in den Schulen Ein weiterer Schwerpunkt für KCDC ist das Schulsystem, das in einem desolaten Zustand ist: Lehrkräfte fehlen oft, die Lernmethoden sind menschenfeindlich, es gibt Beschimpfungen und Blossstellungen, viele Schulkinder bleiben tagelang dem Unterricht fern, die Schulkomitees sind untätig. KCDC will den Zugang zu Schulen und ihre Qualität verbessern. Dazu führte sie für die Schulkomitees und das Lehrpersonal Trainings durch. Mit Erfolg: In der Chhayannath-Primarschule in Jigmeds Dorf Kimri wurden bereits einige Änderungen vollzogen. Das Schulkomitee trifft sich regelmässig alle zwei Monate, die Präsenz der Schulkinder hat zugenommen, und die Lehrkräfte informieren bei Abwesenheit das Schulkomitee. Auf Initiative von KCDC hat die Gemeindeverwaltung einen Karmarong-Lehrer eingestellt, der Karmarong in Schrift und Sprache unterrichtet. Heute sind in Kimri alle Kinder im Schulalter in der Schule eingeschrieben, und sie besuchen regelmässig den Unterricht. Und: Jigmeds älteste Tochter, die die erste Klasse besucht, geht nun gern zur Schule.
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