1. Zusammenfassung Anfangs 2007 wurde auf Initiative der Erziehungsdirektion eine interdirektionale Arbeitsgruppe Jugend und Gewalt (ERZ, POM, GEF und JGK) eingesetzt. Die Arbeitsgruppe hatte den Auftrag, einerseits bestehende Präventionsangebote des Kantons Bern aufzulisten und anderer-seits weitere Massnahmen/Ideen zu prüfen.
Diese interdirektionale Projektorganisation legt mit vorliegendem Beschluss ihren Bericht vor. Die Forderungen der Motionen Blaser und Sommer wurden bei der Erarbeitung des Berichts berücksichtigt und können im nächsten Jahresbericht dem Grossen Rat als erfüllt zur Abschreibung beantragt werden. Der Bericht "Jugend und Gewalt" gliedert sich in sieben Teile. Der erste Teil definiert die Grundbegriffe: "Jugend" und "Gewalt". Dabei handelt es sich um folgende Herausforderung: Die Dunkelfeldforschung erkennt vier Zielgruppen von Kindern und Jugendlichen, die sich hinsichtlich ihres (Gewalt-) Verhaltens unterscheiden: - Eine erste Gruppe - die Hälfte aller Jugendlichen - zeigt nie ein Gewaltverhalten. - Eine weitere Gruppe von etwa einem Viertel weist im Verlauf ihrer Kindheit/Jugend zeitweise ein leichtes Störungsverhalten auf. Doch die Grenzüberschreitungen sind leicht und verschwinden wieder. Durch angemessene Reaktionen bzw. Sanktionen werden diese kurzfristigen Störungen aufgehoben. - Eine dritte Gruppe von etwa 15 - 20% der Jugendlichen zeigt ein schweres Störungsverhalten. Sie begeht Delikte. Hier muss die Umwelt stärker reagieren und intervenieren. Bei diesen Jugendlichen lässt sich aber beobachten, dass sie irgendwann doch "den Rank finden" und im Erwachsenenalter ihren Platz in der Gesellschaft gefunden haben. Bei diesen Jugendlichen ist aber eine intensive Begleitung durch Institutionen und Behörden nötig. Auch ihre Familien benötigen Hilfestellung. - Eine kleine Gruppe von 3-6% der Jugendlichen zeigt ein massives Störungsverhalten. Diese Jugendlichen und ihre Familien beschäftigen die zuständigen Institutionen, die Vormundschaftsbehörden und die Jugendrechtspflege. Ein Teil dieser Jugendlichen zeigt auch im Erwachsenenalter ein fortgesetztes Störungsverhalten.
Der Kompass fördert ein Handeln, das "entschieden, koordiniert, nachhaltig - und insgesamt optimistisch!" ist. Die vier Teilstrategien ergänzen sich und sind kombinierbar. Jede bildet die sinnvolle Basis für die nächste Teilstrategie. Den vier Teilstrategien lassen sich spezielle Massnahmen zuordnen: - Zeitnahe, rasche Intervention bei Störungen, sofortige Beratungs- und Begleitungsangebote durch Institutionen mit genügend Kapazität - Verbindliches Case Management bzw. enge, koordinierte Fallführung - Starke Repression - gezielter Umgang mit der kleinen Gruppe intensiver Gewalttäter Aus dieser strategischen Perspektive beurteilt der Bericht die Massnahmen, die im Kanton auf kantonaler, kommunaler und privater Ebene bestehen, bezüglich ihrer Kompatibilität mit der Strategie, in Bezug auf ihre Vollständigkeit und ihr Entwicklungspotenzial. Die bestehende Massnahmenlandschaft soll auf ein nachhaltiges Fundament gestellt werden. Der Bericht legt grossen Wert darauf, dass die künftige Entwicklung interdirektional gesteuert wird. Der interdirektionale Ansatz hat sich bei der Erarbeitung des Berichts durch das Projektteam und die Steuerungsgruppe aus vier Direktionen als zentrales Erfolgselement erwiesen. Der Bericht schliesst mit dem Formulieren von Leitlinien, die es erlauben, das Handeln des Kantons vor der Öffentlichkeit plausibel zu machen. 2.1 Ausgangslage 2007 hat der Grosse Rat einstimmig die Motion Blaser (M150/2007) zum Thema "Jugendgewalt" überwiesen. Diese fordert vom Regierungsrat ein "umfassendes Konzept", das auf einer Gesamtstrategie aufbaut. In der Drogenpolitik wurde in den 80er Jahren eine Konzeption, die "auf den Säulen Prävention, Therapie, Schadensminderung und Repression aufbaut", politisch mehrheitsfähig. Gemäss Motion Blaser soll auch im Thema "Jugendgewalt" eine Strategie entwickelt werden, die den Erfolg nicht durch eine einzige Massnahmenart sucht. Vielmehr sollen verschiedene Handlungsmöglichkeiten kombiniert werden. Die vom Regierungsrat erarbeitete Strategie soll für den Kanton Bern das Fundament legen, um "gegen Jugendgewalt mit einem Massnahmenkatalog anzutreten". Im Umfeld des Themas "Jugend und Gewalt" wurden noch weitere Motionen eingereicht. Sie beleuchten Aspekte der Thematik: Gewalt und Schule, Gewalt und Videospiele bzw. Gewaltdarstellungen in den Medien sowie Gewalt und Suchtmittel. Darunter befindet sich die Motion der EVP (M 139/2007, Sommer, Melchnau) welche "Gewaltprävention und Krisenkonzepte für Berner Schulen" fordert. Die Motion kann aus folgenden Gründen abgeschrieben werden: Im Kanton Bern wurde 2009 der Leitfaden KrisenKompass des Schulverlags blmv AG publiziert. Dieser Kompass wurde allen Schulleitungen und Schulkommissionen im Kanton Bern durch die Schulinspektorate vorgestellt. Die Schulen sind nun daran, wo nötig Krisenkonzepte zu erarbeiten. Die Schulinspektorate werden diese Arbeiten im Rahmen des Controllings überprüfen. 2.2 Das Thema im heutigen Umfeld Schutzaufbauende WIDERSTANDSFAKTOREN
Im vergangenen Jahrzehnt hat sich die Wissensbasis im Themenfeld "Jugend und Gewalt" verbreitert. Viele Forschungsarbeiten befassen sich mit der Wirkung von Massnahmen, welche der Gewalt vorbeugen. Auch das statistische Wissen wurde verbessert. Mehrere repräsentative Studien zum sogenannten Dunkelfeld von Jugenddelinquenz geben Auskunft über tatsächliche Verhältnisse im Bereich der Gewalt von Jugendlichen: Wer sind die Täter, wer die Opfer? Wie gross ist die Zahl aller Delikte? Wie sehen die Delikte aus? Was für Risikofaktoren und Hintergründe begünstigen Delinquenz? Welches sind wesentliche Schutzfaktoren? Der Bericht stellt fest, dass der Begriff "Jugendgewalt" verzerrend wirkt. Die Mehrzahl der Gewalttaten geht nämlich von Erwachsenen aus; es redet deswegen aber niemand von "Erwachsenengewalt" als einer gesellschaftlichen Gefahr. Um eine differenzierte Betrachtung zu unterstützen, verwendet der Bericht umschreibende Begriffe wie etwa "Jugend und Gewalt". Es geht hier nicht um ein gesamtes Erscheinungsbild, sondern um äusserst unterschiedliche Phänomene, Problemlagen und Herausforderungen.
Fest steht, dass sich in den letzten Jahrzehnten der Kontext verändert hat, in dem Jugendliche aufwachsen. Ein Strategiepapier des Bundesrates zur Kinder- und Jugendpolitik beschreibt diese tiefgreifenden Veränderungen. Die Jugendlichen sind angesichts des gesellschaftlichen Wandels mit grossen, neuartigen Herausforderungen konfrontiert. DieOrientierungsysteme für junge Menschen sind nicht mehr so klar wie früher. Sie erleben zudem eine Neuausrichtung der Bildung auf völlig veränderte Berufswelten und unbekannte Karriereentwicklungen. Hier bieten die Lebensentwürfe der Eltergeneration keine fixe Orientierungshilfe mehr. Zudem hat sich der Zeitraum des Jugendalters nach oben ausgedehnt: - Jugendliche sind länger abhängig - und gleichzeitig schon seit der Kindheit mit einer gegenüber früher viel grösseren Autonomie konfrontiert. - Ihre Entscheidungskompetenz hat sich vermehrt. Die Medien und deren Entwicklung spielen hier eine stark dynamisierende Rolle: Häufig sind die Jugendlichen z.B. im Bereich der Medienentwicklung die besseren Experten als ihre Eltern. Die Elterngeneration kann in vielen Bereichen kein voraus laufendes Wissen mehr vermitteln. Schliesslich gibt es immer mehr unterschiedliche Familienformen und Lebensmodelle, damit die Lebenssituationen und Konfliktmöglichkeiten. Schliesslich nimmt auch die Durchmischung der Kulturen vor Ort durch Migrationsströme im Rahmen der Globalisierung zu. Unterschiedliche Kulturen und Normensysteme geraten manchmal in Konflikt. Welche Delikte sind gemeint, wenn von Gewalt im Jugendbereich die Rede ist? Im Jahr 2008 hat eine Untersuchung Jugendliche aus dem Kanton St. Gallen danach befragt, inwiefern sie bereits Opfer von Gewalt geworden sind, beziehungsweise ob sie selber schon Täter von Delikten waren. Die Liste der dort abgefragten Delikte gibt ein gutes Bild darüber, welche Delikte die Gesellschaft und Medien mit Gewalt im Jugendbereich verbindet:
2.4 Das Erscheinungsbild von Gewalt (Dunkelfeld- und Hellfeldproblematik) - Eine erste Gruppe - die Hälfte der Jugendlichen - zeigt nie ein Gewaltverhalten. - Eine weitere Gruppe von etwa einem Viertel weist im Verlauf ihrer Kindheit/Jugend zeitweise ein leichtes Störungsverhalten auf. Doch die Grenzüberschreitungen sind leicht und verschwinden wieder. Durch angemessene Reaktionen bzw. Sanktionen werden diese kurzfristigen Störungen aufgehoben. Hier ist ein rasches und ausreichendes Angebot an Beratung und Unterstützung für die Beteiligten sehr wichtig. - Eine dritte Gruppe von etwa 15 - 20% der Jugendlichen zeigt ein schweres Störungsverhalten. Sie begeht Delikte, die massiv sind. Hier muss die Umwelt stärker reagieren und intervenieren. Bei diesen Jugendlichen lässt sich aber beobachten, dass sie irgendwann doch "den Rank finden" und im Erwachsenenalter ihren Platz in der Gesellschaft gefunden haben. Bei diesen Jugendlichen ist aber eine intensive Begleitung durch Institutionen und Behörden nötig. Auch ihre Familien benötigen Hilfestellung. Hier ist eine enge Fall-führung oft sinnvoll. - Eine kleine Gruppe von 3-6% der Jugendlichen zeigt massives Störungsverhalten. Diese Jugendlichen und ihre Familien beschäftigen die zuständigen Institutionen, die Vormundschaftsbehörden und die Jugendrechtspflege. Ein Teil dieser Jugendlichen zeigt auch im Erwachsenenalter weiter ein Störungsverhalten. Hier sind starke repressive Reaktionsweisen oft die einzige Form der Reaktion, auch um Opfer zu schützen.
Präventive Massnahmen gegen Gewalt sind lohnend: Jeder Jugendliche, der sich in die Gesellschaft integriert und sie nicht durch Störungsverhalten nachhaltig belastet, bedeutet für ihn und die Umwelt gesteigerte Lebensqualität. Zudem sind die sozialen Folgekosten hoch, nicht zu sprechen vom Leid potenzieller Opfer. Das Thema "Jugend und Gewalt" darf man insgesamt nicht dramatisieren, sondern muss es differenziert angehen. Damit ein Mensch gewalttätig wird, braucht es gemäss verschiedenen Studien unterschiedliche Einflussfaktoren: - Risikofaktoren sind Merkmale/Prozesse bei oder im nahen Umfeld einer Person, welche die Wahrscheinlichkeit eines negativen Verhaltens bzw. einer negativen Entwicklung erhöhen und die oft als Ursache für Gewaltverhalten gelten können. - Schutzfaktoren sind die positiven Einflüsse für eine Entwicklung oder schwächen die negative Wirkung von Risikofaktoren. Sie bilden die Ressource für ein Gegengewicht. Wegen der Schutzfaktoren werden nicht alle Personen, die den Risikofaktoren ausgesetzt sind, gewalttätig. Je mehr Schutzfaktoren aufgebaut sind, desto grösser ist auch bei Vor-liegen mehrerer Risikofaktoren die Chance, dass diese nicht zu Störungs- bzw. Gewaltverhalten führen. - Situative Faktoren bieten eine bessere oder schlechtere Tatgelegenheit. Sie setzen Schutzfaktoren zeitweilig ausser Kraft bzw. erhöhen die Chance, dass Risikofaktoren ein negatives Verhalten in Gang setzen (z.B. Alkohol, eine unüberwachte, Gewalt symbolisierende Umgebung usw.) Alle diese Faktoren beeinflussen das akute Gewaltverhalten beim Jugendlichen oder lösen es aus. Es ist bekannt, dass diejenigen Risikofaktoren, die für Gewaltverhalten verantwortlich gemacht werden, auch andere gesundheitliche Störung bewirken. Gewisse Massnahmen der Gesundheitsförderung bzw. Prävention sind deshalb in ihrer Wirkung vielseitig: Sie bilden eine Ressource für den Aufbau von Schutzfaktoren gegenüber vielen Verhaltensstörungen. Sie beeinflussen nicht bloss den Bereich "Gewaltverhalten" positiv, sondern beugen auch anderen Entwicklungsstörungen vor, etwa psychische Störungen, Essstörungen, Suchtverhalten usw.. Es ist sinnvoll, in Gesundheitsförderung bei Kindern und Jugendlichen zu investieren. 2.6 Massnahmenbündel - von Gesundheitsförderung/Prävention bis zur Repression
Einen besonderen Stellenwert bei Gewaltverhalten und anderen Entwicklungsstörungen bei Jugendlichen haben die strukturelle Bedingungen, unter denen sie aufwachsen: Arbeitslosigkeit, starke Einkommensunterschiede, Probleme mit dem aufenthaltsrechtlichen Status, schlechte Perspektive bezüglich der Lehrstelle und Berufsausbildung, andere Formen der Chancenungleichheit, Benachteiligung aufgrund von kulturellen Vorurteilen gegenüber einer Rasse oder einem Volk oder qualitativ ungenügend funktionierender Kindesschutz. Der präventive Ansatz ist auf negative Verhaltensweisen ausgerichtet. Präventionsaktivitäten wollen Störungen der Gesundheit bzw. der Persönlichkeitsentwicklung - auch Gewaltverhalten - mit vorbeugenden Massnahmen vermeiden. •Beratung/Therapie: Die erwähnten Personen werden effizient und rasch mit begleitenden, beratenden und therapeutisch intervenierenden Institutionen in Kontakt gebracht. •Schadensminderung: Beim Umgang mit Suchtmittelproblemen hat man erkannt, dass Personen, die sich längere Zeit in einer Drogenahängigkeit befinden, z.B. aufgrund der Kriminalisierung des Drogenkonsums oder wegen mit der Abhängigkeit verbundenen Verhaltensweisen (schlechte Ernährung, Diebstahl, Beschaffungsprostitution usw.) sekundäre Schädigungen erleiden. Mit diesen sekundären Schädigungen befasst sich die Massnahmart der "harm reduction" bzw. Schadensminderung. In der Drogenpolitik lautete der Gegensatz "Repression" oder "Schadensminderung". Im Bereich der Gewalt spielt Schadensminderung nicht dieselbe wichtige Rolle wie im Drogenbereich. •Repression: Diese vorbeugenden und intervenierenden Massnahmenarten müssen durch Repression ergänzt werden. Bei der Repression wird unerwünschtes Störungsverhalten - in unserem Fall Gewalt - durch behördliche Verfügungen und gerichtlich legitimierte Massnahmen (Polizei, Justiz, Vormundschaftsbehörden) verhindert, unter-bunden und verfolgt. Durch Repression wird die Freiwilligkeit der Mitwirkung an Massnahmen bei Betroffenen (Jugendlichen, Eltern) durch behördliche und gerichtliche Zwangsmittel ersetzt. Oft bewirkt auch das Androhen einer repressiven Massnahme ein freiwilliges Mitwirken. Ein solches ist bei Entwicklungsprozessen nämlich anzustreben. Zu den repressiven Mitteln im Bereich Gewalt und Jugend gehören die Massnahmen des vormundschaftlichen Kindesschutzes bis hin zum Obhutsentzug, dann die Massnahmen der Jugendstrafrechtspflege und viele polizeiliche Massnahmen. Die Polizei im Kanton Bern wendet aber auch viele präventive Massnahmen an. Repression darf nicht abgetrennt von den anderen Massnahmenarten gesehen werden. Druck zur Mitwirkung stellt also ein repressives Element dar, kann mittelfristig aber ein wenn auch nicht freiwilliges, doch zustimmendes und williges Mitwirken auslösen. Repression hat eine generalpräventive Wirkung: Potentielle Täter müssen mit Sanktionen rechnen und werden im günstigen Fall abgeschreckt. Das Umfeld weiss, dass ein Verhalten verfolgt wird - und ruft die Polizei. Die folgende Darstellung gibt eine grafische Übersicht über die erwähnten Massnahmenarten, die oft - je nach Zielgruppe bzw. individueller Situation - kombiniert werden müssen. Ergän-zend ist in dieser Übersicht eine weitere Handlungskategorie aufgeführt. Sie unterscheidet sich von den individuell anwendbaren Massnahmen: Das politische Handeln durch "strukturelle Massnahmen". Es verändern Rahmenbedingungen und damit verbundene Risikofaktoren. Um die Kinder und Jugendliche bzw. ihre Eltern zu erreichen, muss man die Institutionen nutzen, in denen sie leben. Dabei drängt sich auf, dem Verlauf der Entwicklung zu folgen. Die ersten Jahre leben Kinder vor allem in der Familie, danach wird die Schule ein stark gewichteter Lebensraum. Ab dem 12. Altersjahr verbringen Jugendliche immer mehr Freizeit in der "Peer Group" der Gleichaltrigen. Deren Einfluss nimmt nun stetig zu, derjenige der Familie wird schwächer. Eine stark prägende Umwelt für Kinder und Jugendliche bilden schliesslich die Nachbarschaft bzw. das Quartier. Hier kommen sie mit typischen Personen, grundsätzlichen Werthaltungen und spezifischen sozialen Milieus in Kontakt. Stellt man nun alle bereits erwähnten Massnahmenarten auf einer horizontalen Achse dar und auf die vier zielführenden Settings auf der vertikalen Achse, erhält man eine zweidimensionale Matrix. In diese kann man bestehende oder geplante Massnahmen gegen Gewalt im Jugendbereich nach ihren Zielsetzungen eintragen. Kombinierte Massnahmen können sich über verschiedene Felder erstrecken. Man kann in der Matrix auch Vernetzungen und Synergien darstellen. So wird es möglich, in den Massnahmen ein ganzheitliches Handeln sichtbar zu machen. Auf der Grundlage dieser Matrix kann ein Informationssystem über Massnahmen erstellt werden. Man erfasst zur Massnahme alle Zielkategorien und das Setting, in denen sie angewendet wird. So wird eine Übersicht über bzw. ihre Kombination möglich. 3. Fazit des Berichtes - Hauptfazit 1: Das Thema Gewalt im Jugendbereich sollte als Sachthema ernst genommen und ihm müssen politisch getragene Strategien entgegengesetzt werden. Das Thema darf nicht zur Projektionswand für andere Probleme gemacht werden, die nicht nur die Jugend hat. - Hauptfazit 2: Die Jugend braucht Ressourcen, um im heutigen gesellschaftlichen Umfeld mit seiner Entwicklungsdynamik zu bestehen. Die Gesellschaft soll den Jugendlichen das mitgeben, was sie befähigt, ihr Leben gut zu bestehen. Das sollen die Erwachsenen zudem nicht selbstlos tun. Diese Jugend wird einmal Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen - und für die jetzt Verantwortlichen sorgen müssen. - Hauptfazit 3: Nicht in wilden, hektischen Aktionismus verfallen und laufend etwas Anderes als das Bessere hinstellen und allein diese neue Massnahme fordern. Was er bereits heute macht, soll der Kanton Bern entschieden, koordiniert, nachhaltig - und insgesamt optimistisch tun. Und er soll es gezielt weiter entwickeln. - Hauptfazit 4: Es ist nicht zielführend vorzugeben, die vorliegende Strategie bewirke Wunder und alle Probleme seien beseitigt. Fest steht einzig: Auch im Bereich Jugend und Gewalt müssen alle Mittel ergänzend eingesetzt werden - Gesundheitsförderung/Prävention, Früherkennung/-intervention, Beratung/Therapie, Schadensminderung und Repression. Wer in einem dieser Massnahmen bzw. Teilstrategien die Lösung Heil sucht, wird kaum zum Ziel kommen. 4. Die Kompassstrategie als Antwort auf die Herausforderungen im Bereich Jugendgewalt Die Dunkelfeldforschung definiert wie bereits erwähnt vier klare Zielgruppen von Kindern und Jugendlichen, die sich hinsichtlich ihres (Gewalt-)Verhaltens unterscheiden. Die Berner Kompassstrategie gegen Gewalt im Jugendbereich
1. Ressourcen aktiv, früh und umfassend aufbauen: Familien-, Kinder- und Jugendpolitik, Gesundheitsförderung - Schaffen, Verbessern und Erhalten von kinderfreundlichen Spiel- und Lebensräumen. Unterstützen von ehrenamtlichen Angeboten der Kinder- und Jugendförderung und von Erziehungsverantwortlichen. Grundangebot für Eltern und Kinder zur Stärkung und Förderung einer positiven Entwicklung der Kinder im Frühbereich (Kinder von Geburt bis 5 Jahren) und im Schulalter sicherstellen. Fördern der Sozialkompetenz und Konfliktfähigkeit durch Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit und in der Schule durch eine gesundheitsfördernde Schulgestaltung. Das sind Investitionen mit grossem Effekt. Diese Ressourcen sind für alle nützlich. Sie wirken nicht bloss gegen Gewalt, sondern sind Schutzfaktoren bei sehr vielen möglichen Entwicklungsstörungen. Es gibt viele Fachpersonen, die Störungen bei Kindern, Jugendlichen und in Familien in einer Frühphase wahrnehmen. Doch sie reagieren nicht oder nur ungenügend. Gerade in einer Frühphase sind die Korrekturmöglichkeiten noch gross, oft noch besteht Kooperationsbereitschaft und es braucht noch keine drastischen Massnahmen. Es ist deshalb sehr wichtig, dass (Fach-) Personen im Umfeld ihre Verantwortung wahrnehmen, wenn sie Störungen beobachten, die einen ernsthaften Hintergrund haben könnten. Sie müssen dazu die Betroffenen bzw. die Eltern und Erziehungsberechtigten ansprechen oder den Kontakt mit speziellen Fachpersonen im Umfeld suchen. Wo ein Störungsverhalten sehr komplex ist, kann eine koordinierte Fallführung grossen Nutzen bringen. Damit ist ein verbindliches, enges Case Management folgender Art gemeint. Case Management bedeutet eine enge, koordinierte Fallführung bei behördlicher Zuständigkeit. Dabei ist Freiwilligkeit anzustreben, da hierdurch mehr Wirkung erzielt wird. Es kann aber auch nötig sein, durch gesetzliche bzw. gerichtliche Zwangsmassnahmen die nötige Kooperation der Betroffenen herbeizuführen. Bei Jugendlichen, deren (Gewalt-) Verhalten früh als massiv auffällt, ist es wichtig, dass koordiniert und zielorientiert gehandelt wird. Auch im späteren Jugendalter, wenn ein Fall sich als schwer erweist, sind oft viele Helferinstitutionen parallel und ohne Vernetzung tätig. So bearbeiten sie eine Vielzahl von Fällen - alle partiell mit anderen Institutionen gemeinsam. Ein Erfolg stellt sich dabei nicht ein. Die Statistik zeigt, dass eine kleine Gruppe von Jugendlichen immer wieder durch massive Gewalttaten und Delikte auffällt. Bei ihnen ist der Einsatz starker, konsequenter Instrumente der Repression erforderlich. Repressionsmassnahmen können von zivilen oder strafrechtlichen Behörden, stationär (offen oder geschlossen), teilstationär oder ambulant, kurz oder langfristig verordnet werden. Meist ist eine sorgfältige Indikationsstellung und dann eine interdisziplinäre Betreuung und Behandlung der Jugendlichen mit Einbezug ihrer Eltern notwendig, mit dem Ziel der Integration und Selbständigkeit. Entsprechende Institutionen sind vorhanden, teilweise auch im Kanton Bern. Allerdings ist es oft schwierig, einen geeigneten Platz zu finden. 5.1 Zu prüfende Massnahmen - Der Regierungsrat nimmt das ganzheitliche Handeln im Bereich "Jugend und Gewalt" in die Richtlinien der Regierungspolitik der neuen Legislatur (2010 - 2013) auf. Damit erklärt er das Thema zu einem wichtigen interdirektionalen Querschnittthema. - "Kinder, Jugend und Familie" als interdirektionales Politikfeld. Teilziele wären folgende Schritte: 2) Handlungsschwerpunkt und Mitteleinsatz prioritär auf grundlegende Dauerangebote im Bereich Gesundheitsförderung/Prävention sowie Familien-, Kinder- und Jugendförderung legen. 3) Wirksame Kindesschutzbehörden mit qualitätsfördernden und effizienten Strukturen schaffen. Vorgelagerte Fachstellen mit den notwendigen Ressourcen ausstatten, so dass frühzeitiges agieren möglich wird. Früherkennung verlangt nach entsprechenden Handlungsressourcen. 4) Schulen/Schulzentren als Kinder- und Jugendförderungszentren ausrichten und mit entsprechenden Fachpersonen / -ressourcen ausrüsten. - Informationssystem und Plattform für die Öffentlichkeit, Datenerhebung: Im Bericht wird eine Berner Matrix entwickelt. Sie erlaubt es, alle Massnahmen im Bereich "Jugend und Gewalt" nach ihren Zielsetzungen bzw. der Massnahmenart zu erfassen und einem der vier Settings zuzuschreiben. Durch ein einheitliches Strukturieren der Massnahmen können sie in ein Informationssystem eingebracht werden. Die GEF hat mit der ERZ ein im Internet abrufbares Informationssystem für die Zielgruppen der Schule entwickelt (PRO-FInfo.ch). Es wäre wünschenswert, die Massnahmen gegen Gewalt in einem ähnlichen System aufzubereiten. - Unterstützung der Eltern in ihrer Erziehung von Geburt an. Erfassen und begleiten von Zielgruppen mit besonderen Herausforderungen: Auf den Aufbau eines Netzes der Erziehungsunterstützung ist hohe Priorität zu legen. Andernorts werden z. B. Erziehungs-Grundkurse in Geburtskliniken angeboten. Auch bei der Einschulung und der beginnenden Pubertät sind Eltern für Erziehungsfragen zu sensibilisieren. Die Zielgruppe Väter ist bei dieser Massnahme ausdrücklich anzusprechen und mit spezifischen Angeboten miteinzubeziehen. - Ergänzung zu bestehenden Präventionsprogrammen: Auch Täterpersönlichkeiten erfassen. Viele Präventionsprogramme gegen Gewalt zielen auf Mediation und Konfliktlösekompetenz ab. Möglicherweise braucht es eine Ergänzung um Programme, die auf Taterpersönlickeiten abzielen und sie im Wahrnehmen der Verantwortung für ihr Gewaltpotenzial schärfen. - Instrumente des Intervenierens für Beobachter schaffen und sie bekannt machen; Rückmeldung an Personen machen, die Vorfälle melden: Personen bemerken auffälliges Verhalten zwar oft sehr früh, gewichten die Privatsphäre aber zu lange zu stark. Nachbarn bzw. das Umfeld greifen deshalb oft nicht ein. Der Standard des Community Policing, dem Melder immer ein Feedback zu geben, ist auch im Bereich Jugendgewalt im Rahmen der Rechtsordnung einzuführen. - Gewaltmeldestelle und Unterstützungssystem in der Schule: In Berlin gibt es ein Modell für ein Reporting von Gewalt an Schulen. Es sollte auch im Kanton Bern geprüft werden. In Berlin müssen alle Gewaltvorfälle an einer Schule an eine zentrale Stelle gemeldet werden. Die Schule erhält innert 24 Stunden den Rückruf einer Fachperson, die sich über die Wirksamkeit der getroffenen Massnahme erkundigt bzw. weitere Hilfestellung anbietet. Aus den Meldungen wird eine Gesamtstatistik "Gewalt an Berliner Schulen" erstellt. Zudem ist es für jedes Schulhaus Pflicht, das Thema "Gewalt an unserer Schule" einmal pro Jahr im Lehrergremium zu thematisieren. - Überprüfung der Bestimmungen des Datenschutzes, Freigabe von Verfahrenspfaden, wo das Prinzip "Kindesschutz vor Datenschutz" als Standard gilt. Es sind folgende Fragen zu klären: 1) Wo müssen im Interesse der Entwicklung des Kindes Daten an Beteiligte weitergegeben werden (z.B. von der Erziehungsberatung, von Gerichten an Lehrpersonen), damit Lehrpersonen ihre Verantwortung wahrnehmen können? 2) Was haben die Wissensträger für Pflichten? 3) Wie verantwortlich sind sie als Wissensträger? - Verbindliches Case Management: Es werden Instrumente geprüft, die es erlauben, kom-plexe Fälle zu koordinieren, zusammenzufassen und eng zu begleiten. Eine derartige enge Fallführung muss konsequent eingesetzt werden. Nach der Früherfassung und -intervention muss z.B. geprüft werden, ob eine Intervention gelungen ist. Ansonsten muss der Fall mithilfe dieses Case Managements entwickelt werden. Hierbei darf der Datenschutz nicht hinderlich sein. Das Prinzip: Kindswohl vor Datenschutz existiert, wird aber oft nicht angewendet. Beim Case Management ist auch die Frage der Federführung zu klären. Eine bezeichnete Stelle muss auch bei Ortswechsel einen Fall weiter verfolgen und für den Informationsfluss bzw. die Weiterführung der Massnahme sorgen. - Platzierungskommission: Zivil- und Strafrechtsbehörden stehen immer wieder vor dem Problem, für Jugendliche mit speziellen Verhaltensproblemen (vor allem Gewalt, Missbrauch harter Drogen) keine geeigneten Platzierungs- und Betreuungsinstitutionen zu finden oder sie wegen unhaltbarem Verhalten vorzeitig entlassen zu müssen. Für solche Situationen soll eine kantonale, interdisziplinäre und interdirektionale Kommission mit kinder- und jugendforensischem Schwerpunkt geschaffen und einbezogen werden müssen. Sie soll für den Einzelfall realisierbare und fachlich vertretbare Wege prüfen und über Weisungskompetenzen verfügen. Zudem muss sie für den Kanton ein Erfahrungswissen bezüglich fehlender Betreuungsmöglichkeiten aufbauen und den Planungs- und Finanzierungsverantwortlichen zu deren Behebung zur Verfügung stellen. Als Denkmodelle können die konkordatliche Fachkommission des Strafvollzugskonkordats oder die 2007 vorgeschlagenen FFekonsilien der Regierungsstatthalterämter dienen. - Austrittsmanagement: Es ist ein Ziel, dass straffällige Jugendliche nach dem Austritt aus der Massnahme ihren Freundeskreis auswechseln und eine Arbeitsstelle halten können. Das ist erwiesenermassen die beste Verhinderung für eine Rückfälligkeit. Um solches Coaching zu gewährleisten, müssen taugliche Systeme für solche Coachings eingerichtet werden. - Mehr Sicherheitsdienste abends/nachts: Es braucht mehr Präsenz von Offener Jugend-arbeit und Polizei im öffentlichen Raum, z.B. wie das Projekt Pinto in der Stadt Bern. - Prüfung eines Alkoholverkaufsverbot nach 20 Uhr für Jugendliche: Es braucht ein Alko-holverkaufsverbot über die Gasse nach 20 Uhr. Grundsätzlich braucht es aber auch ein konsequentes Durchsetzen der gesetzlichen Bestimmungen. Die Prüfung dieser Massnahme soll auf die bereits bestehenden Diskussionsgrundlagen der Volkswirtschaftsdirektion abgestützt werden. - Verweigerung des Lernfahrausweises, Fahrausweisentzug bei gewissen Delikten. In Berner Heimen macht man - wie anderswo auch - die Erfahrung, dass das Erlangen des Lernfahrausweises bzw. der Fahrausweis für Jugendliche ein hohes Gut darstellt. Deswegen wird bei Jugendlichen mit Suchtproblemen der Nachweis der Drogenfreiheit als Bedingung dafür verlangt, dass man ihnen die Möglichkeit eröffnet, Autofahren zu lernen. Das wirkt verhaltenslenkend. In Heilbronn und Karlsruhe wird gewalttätigen oder durch Alkoholexzesse auffallenden Jugendlichen der Fahrausweis entzogen bzw. ein Lernfahrausweis verweigert. In München eruiert die Führerscheinstelle ebenfalls Jugendliche mit Gewaltpotenzial. Jugendrichter verordnen Massnahmen im Bereich des Führerausweises/Lernfahrausweises als Teil der Strafe. Die Anwendung solcher Massnahmen bei Jugendlichen mit Sucht- und Gewaltpotenzial, die offenbar sehr wirksam sind, sind im Kanton Bern zu prüfen. Diese Massnahmen sollen nun, wie oben erwähnt, im Detail geprüft werden. Hierbei wird auch die Finanzierbarkeit aufgezeigt werden müssen. Die Erziehungsdirektion beantragt dem Regierungsrat, gestützt auf die Erläuterungen, den vorliegenden Bericht zum Thema "Jugend und Gewalt" zustimmend zur Kenntnis zu nehmen.
Diese 4 Zielgruppen durch 4 Aussagen des Stammtisches über Jugendliche charakterisiert:
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