Biotreibstoffe
- Biogene Treibstoffe - Agrotreibstoffe
|
Agrartreibstoffe
und die Hungerkrise
|
 |
Swissaid:
'Bio'treibstoffe sind nicht 'bio'
|
 |
 |
 |
Als
"Biotreibstoffe" werden der aus stärkehaltigen Pflanzen wie z.B. Zuckerrohr,
Mais oder Getreide gewonnene Alkohol (Äthanol) sowie der aus Ölpflanzen,
vor allem Soja, Palmöl, Raps oder Jatropha produzierte Diesel bezeichnet.
Treffender sollte jedoch der Begriff Agrotreibstoffe verwendet werden,
denn mit "Bio" haben diese Produkte nichts zu tun. Die Energiepflanzen
sind weder biologisch hergestellt, noch sind sie umweltverträglich.
Im Gegenteil, ihre Produktion trägt zur Abholzung von Regenwald, zu
Vergiftung von Böden und Wasser sowie zur Reduktion der Biodiversität
bei. Der Begriff Agrotreibstoffe verweist darauf, dass es sich vor allem
um ein Produkt der Agrarindustrie handelt.
Synthetische
Biokraftstoffe BTL ("Biomass to Liquid") sind Treibstoffe aus Biomasse
der zweiten Generation. Sie werden aus u.a. Holzabfällen, Waldrestholz,
Altholz oder aus Holzmasse hergestellt, welche eigens für diesen Zweck
produziert wurde (Holzhackschnitzeln aus landwirtschaftlichen Schnellwuchsplantagen).
Die benötigte Biomasse steht unmittelbar nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion.
Biokraftstoffe der ersten Generation wie Bioäthanol haben schwerwiegende
soziale und ökologische Nebenwirkungen, da ihre Rohstoffe (Mais, Raps,
usw.) auch zur Lebensmittelproduktion eingesetzt werden können. |
|
|
 |
|
 |
 |
Um
die bisher schlechte Ausbeute und Energieeffizienz von Pflanzen und Verfahren
zur Treibstofferzeugung zu optimieren, wird von Firmen und Wissenschaftlern
an "Biotreibstoffen der zweiten Generation" geforscht. Die Agrotreibstoffe
der ersten Generation werden aus pflanzlichen Zuckern und Ölen hergestellt.Diese Inhaltstoffe machen aber nur einen kleinen Teil der pflanzlichen
Biomasse aus. Der grösste Teil ist Zellulose und Lignin. Zukünftig
soll Äthanol aus Zellulose von Pflanzenstängel und Holz erzeugt werden. |
|
Die
risikoreiche, gentechnische Veränderung von Bäumen beispielsweise
wird hier eine besondere Rolle spielen. Die neu entwickelten Verfahren
und Pflanzen sind von den Firmen zur Patentierung angemeldet. Damit wird
ihre Kontrolle finanzkräftiger Konzerne über die Grundlagen der
Landwirtschaft noch gestärkt.
Noch sind keine Agrotreibstoffe der
zweiten Generation auf dem Markt. Ihre Entwicklung wird noch mindestens
10 Jahre in Anspruch nehmen. Ob sie die Versprechen in Bezug auf Ertrag,
Energieeffizienz und Umweltverträglichkeit erfüllen, ist offen.
Die
Agrar-, Biotech-, Erdöl- und Automobilindustrie spannen zusammen 2006
betrug der Anteil der Agrotreibstoffe an der globalen Kraftstoffversorgung
1,12 Prozent. Davon entfielen 4/5 auf Äthanol und 1/5 auf Agrodiesel. Brasilien
und die USA sind die grössten Treibstoff-Äthanol Produzenten, beide
wollen ihre Produktion bis 2016 verdoppeln. Der Welthandelsvolumen von
Äthanol stieg von 2002 mit 3,2 Milliarden Liter auf 7,81 Milliarden Liter
in 2006.
Im Bereich Agrardiesel auf der Basis von Palmöl sind Indonesien
und Malaysia Marktführer. Sie produzieren 80 Prozent des Palmöls
der Welt. (9) Neben vielen kleineren Firmen sind auch die Giganten unter
den transnationalen Konzernen auf dem Agrotreibstoffmarkt aktiv. Sie investieren
in millionenschwere Agrotreibstoff-Raffinerien und neue Plantagen. Dabei
verbinden sich in ganz neuer Form die Interessen verschiedener Wirtschaftssektoren:
Neben den Getreidehändlern und Agrarkonzernen, die einen ganz neuen,
boomenden Markt für ihre Produkte vorfinden, sind die Automobilindustrie
und Erdölindustrie in aller erster Linie daran interessiert, das business
as usual so lange wie möglich aufrecht zu erhalten. Denn über
die Beimischung von Agrotreibstoffen zum konventionellen Benzin wird die
Verwendbarkeit von Erdöl verlängert - das System wird sozusagen
gestreckt. über neue Betätigungsfelder freut sich auch die Gentech-Branche,
nachdem sie in Europa und Afrika bisher schlecht Fuss fassen konnte. Und
nicht zuletzt zeigt auch der Finanzsektor enormes Interesse an neuen Anlagemöglichkeiten
und macht so die ungeheure Dynamik erst möglich.
Die
konvergierenden Interessen der sehr verschiedenen Branchen spiegeln sich
in zahlreichen strategische Kooperationen und Teilhaben. Die Agrarkonzern
Du Pont entwickelt zusammen mit British Petrol (BP) einen neuen Agrotreibstoff
"Biobuthanol"(10). Im Januar 2008 lancierte eine noch breitere und recht
ungewöhnliche Formation ein Kooperationsprojekt: der Getreidekonzern
Archer Daniels Midland (ADM), der Autohersteller Daimler und der Agrarchemiekonzern
Bayer CropScience haben sich zusammengeschlossen, um den Anbau von Jatropha zu fördern. ADM ist bereits heute der weltweit grösste Äthanolhersteller
und Raffinerieteilhaber. Die Firmen suchen dabei gezielt auch die Zusammenarbeit
mit den Universitäten. So finanziert Daimler die Entwicklung von Jatropha in Indien. Involviert ist in dieses Projekt neben der Universität
Hohenheim auch die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit
(GIZ).
Mit
diesen bisher ungewohnten Kooperationen droht eine weitere Marktkonzentration
auf dem Agrarsektor stattzufinden. Damit gerät die weltweite Agrarproduktion
immer mehr in die Kontrolle der Konzerne und wird ihren Interessen entsprechend
ausgerichtet.
Gründe
gegen die industrielle Produktion von Agrotreibstoffen
1.
Ein neues Zeitalter des Hungers
Erstmals
seit 30 Jahren steigen die Preise für Nahrungsmittel. Als Folge des
US-amerikanischen Äthanolprogramms sind die Maispreise in den vergangenen
zwei Jahren um 60 Prozent gestiegen. Die Nachrichten über "Hungeraufstände"
in armen Ländern weltweit häufen sich. Den Anfang machte im Februar
2007 der so genannte Tortilla-Aufstand in Mexiko. Dort waren Preisanstiege
bis zu 400 Prozent für Tortillas für die Bevölkerung nicht
mehr tragbar. Anfang 2008 wurde in Ägypten aufgrund der hohen Weizenpreise
das Brot knapp. In Südostasien sind die Reispreise auf dem höchsten
Stand seit Jahrzehnten gestiegen: rund zehn Millionen Menschen sind allein
auf den Philippinen von Hunger bedroht (11).
In Haiti hat die über
die hohen Preise erboste Bevölkerung den Präsidenten abgesetzt
und auch in anderen Ländern nehmen die Proteste zunehmend gewalttätige
Formen an. Alle internationalen Institutionen wie Weltbank, OECD und FAO
sind sich einig: die boomende Nachfrage nach Agrotreibstoffen hat neben
dem wachsenden Fleischkonsum in China und Indien und Spekulationseffekten
auf den Finanzmärkten massgeblich mit zu den massiven Preiserhöhungen
der Lebensmittel und zur Reduktion der Getreidevorräte weltweit beigetragen.
Schätzungen zufolge werden 12 Prozent der weltweiten Kornproduktion
und ca. ein Viertel der gesamten Maisernte zu Äthanol verarbeitet. Der
Anteil wächst.
Für
viele Entwicklungsländer, die in den vergangen Jahrzehnten im Zuge
der Handelsliberalisierung von Netto-Exporteuren zu Netto-Importeuren von
Nahrungsmittel geworden sind, ist diese Entwicklung dramatisch. Auf den
Import von Grundnahrungsmitteln angewiesen, laufen sie nun Gefahr, ihre
Bevölkerung nicht mehr ausreichend versorgen zu können.
Für
ärmere Konsumentinnen und Konsumenten bedeuten die Preisanstiege starke
Einschränkungen in der Versorgung mit Nahrungsmitteln: kleinere Portionen,
weniger Mahlzeiten und der Verzehr von weniger hochwertigen Nahrungsmitteln.
Für Menschen, die bereits am Existenzminimum leben, bedeutet das Hunger.
Das Welternährungsprogramm sieht ein "neues Zeitalter des Hungers",
das auch städtische Mittelschichten in Indonesien, Jemen und Mexiko
betrifft.(12) Das Programm wird Nahrungsmittellieferungen in Hungergebiete
nicht mehr im bisherigen Umfang aufbringen können - es wird die Anzahl
der Nahrungsmittelempfänger und die Rationen kürzen müssen.
"Tatsächlich
erfolgt der Energiepflanzenanbau vom ersten Tag an in Konkurrenz zur Nahrungsproduktion"
stellen die Autoren einer OECD Studie (13) fest. Die Erfahrungen aus zwei
Regionen Kolumbiens machen deutlich, was das konkret bedeutet. Dort fördert
die Regierung seit Jahren den Anbau von Ölpalmen. Kolumbien ist derzeit
der viertgrösste Exporteur von Palmöl. Präsident Uribe plant,
die Produktion massiv auszuweiten.
Weltweit sind Frauen für die Ernährung
der Familien verantwortlich. Darüber hinaus leisten Frauen einen Grossteil
der landwirtschaftlichen Arbeit. Wenn die Lebensmittelpreise steigen und
weniger Land für die Produktion von Grundnahrungsmitteln zur Verfügung
steht, trifft es zu allererst die Frauen: als Versorgerinnen müssen
sie mehr Zeit und Geld in die Ernährung investieren; als sozial Benachteiligte
erhalten sie meist zuletzt etwas zu essen; als landwirtschaftlich Tätige
verlieren sie an Boden und Einkommen, wenn die Produktion auf cash crops
wie Energiepflanzen umgestellt ist. Denn cash crops sind Männersache (Armut).
2.
Kleinbauerngemeinschaften können kaum profitieren
Nicht
nur die Regierungen der agrarexportierenden Länder, auch viele Bauern
hoffen, von den steigenden Nahrungspreisen profitieren zu können.
Die Frage ist berechtigt: Haben Agrotreibstoffe das Potential, armen ländlichen
Regionen und Bauernfamilien Einkommen und Entwicklung zu bringen? Damit
die bisher noch stark subventionierte Agrotreibstoffproduktion rentabel
wird, braucht es billige Rohstoffe. Die hohe, politisch induzierte Nachfrage
verlangt zudem grosse Mengen für die Weiterverarbeitung zu Treibstoffen.
Diese Bedingungen legen ein Plantagen-Produktionsmodell nahe. Und so werden
Soja, Zuckerrohr und Palmöl denn auch in grossflächigen Monokulturen
produziert (Kinderarbeit auf Kakao-Plantagen).
Der Arbeitsaufwand ist bei Soja und Palmöl gering, in
der Zuckerproduktion sind die Arbeitsbedingungen extrem hart. Hingegen
braucht es hohe Investitionen, um überhaupt in die Produktion einsteigen
zu können. Investitionen, die sich Kleinbauernfamilien nicht leisten
können. Die Produktion liegt damit in der Hand finanzkräftiger
Unternehmen, nationaler wie internationaler. Um auf die noch ungesättigte
Nachfrage reagieren zu können, sind die Unternehmen auf der Suche
nach weiteren Anbauflächen. Land, auch in bisher abgelegenen Regionen,
wird zum Spekulationsobjekt und für Kleinbauern unerschwinglich.
Der
armen ländlichen Bevölkerung ergeht es wie bereits beim Abbau
fossiler Energieträger oder mit der Exportlandwirtschaft für
Südfrüchte und Tierfutter. Die Gewinne verbleiben bei einigen
wenigen Unternehmen, die auf dem Weltmarkt mitmischen können. Für
die lokale Bevölkerung bleibt die schlechtbezahlte Plantagenarbeitoder Migration. Die Rechnung geht für die Kleinbauernfamilien schlecht
aus. Für 5-10 Millionen neuer Arbeitsplätze in der Lohn- und
Saisonarbeit verlieren 35 Millionen Kleinbauern und - bäuerinnen ihre
Lebensgrundlage.(14)
(Kinderarbeit auf Kakao-Plantagen)
Eine
dezentrale Energie- oder Treibstoffproduktion, vornehmlich aus Gülle
oder landwirtschaftlichen Abfällen kann demgegenüber Chancen
für kleinbäuerliche Gemeinschaften bieten. Sie kann zur besseren
Energieversorgung in ländlichen Regionen führen, darf jedoch
nicht auf Kosten der Nahrungsmittelproduktion gehen. Diese dezentrale Produktion
ist jedoch nicht an den derzeit expandierenden weltweiten Markt für
Agrotreibstoffe angebunden, der die aktuelle Entwicklung der Agrotreibstoffproduktion
massgeblich bestimmt.
Für
arme Entwicklungsländer bedeutet die vermehrte Umstellung auf die
Produktion von Energiepflanzen eine Schwächung der Ernährungssouveränität.
Denn je weniger Lebensmittel im eigenen Land hergestellt werden, desto
mehr müssen importiert werden. Die Abhängigkeit von den stark
schwankenden Weltmarktpreisen führt leicht zu Versorgungsengpässen.
Informationsquellen:
9
Alle Zahlen des Kastens aus: BMZ Diskurs 011, Bonn/Berlin, Februar 2008.
10
Martina Backes: "Der nächste Irreweg. Pflanzentreibstoffe schaffen
mehr Probleme, als sie lösen." Iz3w 305, März/April 2008.
11
www.tagesschau.de/wirtschaft/reispreis2.html
12
Katarina Wahlberg: "Vor einer globalen Nahrungsmittelkrise? Informationsbrief
Weltwirtschaft und Entwicklung: Nr. 03-04/2008
13
"Biofuels: Is the cure worse than the desease?" Paris 2007. OECD SG/SD/RT(2007)3
14
Almut Ernsting, Biofuel Watch, in "Agrofuels Special Issue", GRAIN Seedling,
Juli 2007.
 |
Quelle:
Text Swissaid, Mai 2008 |
nach
oben
Weitere Informationen
|
 |
Links
|
 |
 |
 |
Externe
Links |
|