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Erdbeben - Tektonik Schweiz |
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Erdbeben - Tektonik Informationen |
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Schwere
Erdbeben sind auch in der Schweiz möglich
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Erdbeben
können verheerend sein. Schwere Erdbeben sind auch in der Schweiz
möglich, und es gibt viele dabei gefährliche Bauwerke. Für
eine Beurteilung der Erdbebensicherheit eines bestehenden Bauwerks muss
vor allem das Tragwerk für horizontale Kräfte identifiziert und
sozusagen von den nichttragenden Bauteilen separiert werden. Dann erst
sind Berechnungen der Festigkeit und des plastischen Verformungsvermögens
möglich. Bei der Planung von Neubauten soll der Bauingenieur bereits
im frühesten Entwurfsstadium beigezogen werden; dadurch können
wesentliche Mehrkosten eingespart und bedeutend bessere Lösungen entwickelt
werden.
Was
geschieht eigentlich bei einem Erdbeben? |
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Bei
einem Schadenbeben bewegt sich der Boden rasch hin und her und auch auf
und ab. Das dauert im Allgemeinen nur etwa 10 bis 20 Sekunden, manchmal
etwas länger. Und wie gross sind die maximalen Ausschläge der
Bodenbewegungen? Bei einem mittelstarken Beben mit einer Magnitude von
etwa 6 auf der Richterskala, z.B. wie
das Walliser Beben zu Visp 1855, betragen die maximalen Bodenbewegungen
etwa 8 bis 12 Zentimeter. Oder bei einem starken Erdbeben von Magnitude
6.5 bis 7, z.B. wie das Basler Beben von 1356 oder das Kobe Beben in Japan
1995, liegen die maximalen Bodenbewegungen in der Grössenordnung von
15 bis 25 Zentimetern.
Schwere
Erdbeben auch in der Schweiz |
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Mit
dem Wallis und mit Basel sind bereits zwei klassische Erdbebengebiete
der Schweiz genannt. Basel wurde
1356 weitgehend zerstört. Das letzte grössere Schadenbeben im
Wallis ereignete sich 1946 mit dem Epizentrum in der Gegend des Sanetschpasses.
Aber
auch im St. Galler Rheintal, im Engadin, in der Innerschweiz und im Berner
Oberland hat es immer wieder starke Erdbeben gegeben. Beben mit wesentlichen
Schäden sind allerdings relativ selten. Nicht jede Generation erlebt
ein starkes Erdbeben. Deshalb ist die Erdbebengefahr auch (viel zu) wenig
in unserem Bewusstsein verankert, im Vergleich etwa zu anderen Naturgefahren
wie Hochwasser oder Lawinen, die viel häufiger auftreten aber trotzdem
kleinere durchschnittliche Risiken darstellen. Denn wenn sich starke Erdbeben
ereignen, ist die Wirkung katastrophal, und die Personen- und Sachschäden
sind um Zehnerpotenzen höher. Und das ist auch in der Schweiz jederzeit
möglich.
Wie
reagieren die Bauwerke? |
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Wenn
sich der Boden rasch hin und her und auf und ab bewegt, werden die Fundamente
der Bauwerke gezwungen, diese Bewegungen mitzumachen. Der obere Teil der
Bauwerke aber möchte wegen seiner Massenträgheit«am liebsten
dort bleiben wo er ist». Daher treten starke Schwingungen und grosse
Verformungen und Beanspruchungen im Tragwerk auf, die zu erheblichen Schäden
und im Extremfall zum Einsturz des Gebäudes führen können.
Viele
gefährliche Bauwerke |
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In
der Schweiz gibt es erst seit 1989 fortschrittliche SIA-Normen für
die Erdbebensicherung von Bauwerken. Diese werden allerdings, weil sie
rechtlich wenig verbindlich sind und keine Kontrollen stattfinden, oft
nicht eingehalten; es entstehen laufend neue, bei Erdbeben für die
Bewohner gefährliche Bauwerke. Der allergrösste Teil der heute
in der Schweiz vorhandenen Bauwerke ist somit nicht auf eine genügende
Erdbebensicherheit bemessen worden. Diese Bauwerke haben im konkreten Fall
eine nicht näher bekannte Erdbebensicherheit. Diese kann aus anderen,
zufälligen Gründen genügend sein, oder eben auch nicht.
Jedes
fünfte Bauwerk unsicher |
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Aufgrund
von Untersuchungen des Kantons Aargau und insbesondere aufgrund von ersten
Resultaten einer im Gange befindlichen Verletzbarkeitsstudie für ein
Stadtquartier in Basel kann eine grobe Schätzung vorgenommen werden.
Sie führt zum Schluss, dass etwa jedes fünfte Bauwerk in der
Schweiz problematisch ist bzw. eine ungenügende Erdbebensicherheit
aufweist. Dies bedeutet, dass beim Auftreten des sogenannten Bemessungsbebens
mit einer Auftretenswahrscheinlichkeit von rund 12% in 50 Jahren (durchschnittliche
statistische Wiederkehrperiode von 400 Jahren) ein Einsturz erfolgen kann.
Jedes
Bauwerk ist ein «Individuum» |
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Immer
wieder wird die Frage gestellt, ob ein Fachmann oder Experte die Erdbebensicherheit eines bestehenden Gebäudes«rasch» beurteilen kann; gewissermassen
indem er sich vor das Bauwerk hinstellt und mit sicherem«Erdbebenblick»
ein Urteil abgibt. Dies ist in den allermeisten Fällen nicht möglich.
Denn gerade in der Schweiz ist praktisch jedes Bauwerk wieder anders gestaltet,
es ist sozusagen ein Individuum.
Dazu kommt, dass die Beurteilung der Erdbebensicherheit
eines bestehenden Gebäudes eine fachtechnisch aussergewöhnlich
anspruchsvolle Aufgabe ist, die im Allgemeinen durch einen Erdbebeningenieur,
d.h. durch einen Bauingenieur mit qualifizierter Zusatzausbildung, durchgeführt
werden muss. Vielleicht kann auch der«normale» Bauingenieur
beauftragt werden, der ohnehin ein Gebäude betreut und über die
Konstruktionspläne verfügt, und der dann einen gut qualifizierten
und erfahrenen Spezialisten beizieht, was sich in jedem Fall lohnt.
Tragwerk
für horizontale Kräfte entscheidend |
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Bei
den vorzunehmenden Untersuchungen muss vorerst das eigentliche Tragwerk,
welches vertikale Lasten und insbesondere horizontale Erdbebenkräfte
abtragen kann, identifiziert und in Gedanken sozusagen von den nichttragenden
Zwischenwänden, Fassadenbauteilen usw. separiert werden. Dies hat
aufgrund der Detailpläne des Architekten und des Ingenieurs oder -
wenn allenfalls nicht mehr vorhanden - am Bauwerk selbst zu erfolgen. Dann
müssen meist statische und allenfalls auch dynamische Berechnungen
durchgeführt werden.
Ferner müssen Festigkeitsberechnungen und
oft auch eine Abschätzung der Duktilität (plastisches Verformungsvermögen)
des Tragwerks vorgenommen werden, da diese für die Einsturzsicherheit
entscheidend sind. In manchen Fällen sind auch die dynamischen Eigenschaften
des Bodens (mögliche lokale Aufschaukelungen) in Betracht zu
ziehen. Nur auf solche Weise ist eine zuverlässige Beurteilung möglich
und können teure Fehlinvestitionen in Sanierungsmassnahmen vermieden
werden.
Gebäude
mit «weichem» Erdgeschoss |
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Immerhin
gibt es eine ganze Reihe von bestimmten Bauwerksarten, die bereits unter
dem besagten«Erdbebenblick» des Experten vermuten lassen,
dass sie möglicherweise einstürzen könnten. Durch Erdbeben
besonders verletzbar können z.B. Gebäude sein, die ein in horizontaler
Richtung«weiches» Erdgeschoss aufweisen. Damit dort grosse
Räume - z.B. Verkaufsgeschäfte oder Parkflächen - möglich
sind, wurden die Wände durch dünne Stützen ersetzt. Diese
sind oft nicht in der Lage, die Hin- und Herbewegungen des Bodens aufzufangen,
und sie knicken daher ein.
Gefährliche
Backsteinbauten |
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Andere
für die Bewohner gefährliche Bauten können Gebäude
mit Tragwänden aus unbewehrtem Mauerwerk sein. In der Schweiz wurde
und wird immer noch wie in keinem anderen Land tragendes, unbewehrtes Mauerwerk
aus Backsteinen für Gebäude mit mehreren oder gar vielen Stockwerken
(teilweise bis 15) verwendet. Backsteinwände sind zwar gut wärmedämmend
und wärmespeichernd, bei Erdbeben verhalten sie sich aber sehr spröde
und sind denkbar ungeeignet. Daher hat die Backsteinindustrie Systeme entwickelt,
welche das Bewehren (Armieren) von tragenden Backsteinwänden erlauben.
Und für die Erdbebensanierung bestehender Mauerwerkswände können
beispielsweise Kohlefaserlamellen eingesetzt werden.
Falsches
Vorgehen bei Neubauten |
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Bei
der Planung eines Bauvorhabens kann man auch heute noch oft ein falsches
und sehr kostspieliges Vorgehen beobachten, etwa nach folgendem Szenario:
Ein Architekt arbeitet allein erste architektonische Entwürfe und
vielleicht auch ein Vorprojekt aus, bei denen die Einteilung und Nutzung
der Räume schon weitgehend festgelegt sind.
Dabei wird durch den Architekten gewissermassen nebenher auch das Tragwerk
für die üblichen Lasten bis auf Detailabmessungen festgelegt,
und es werden bereits auch die Materialien für die nichttragenden
Zwischenwände, Fassadenbauteile usw. gewählt. Und dabei wird
nicht an Erdbeben gedacht, geschweige denn die Verträglichkeit der
Verformungen von Tragwerk und nichttragenden Bauteilen berücksichtigt.
Dann erst wird ein Ingenieur zugezogen. Sofern er - vielleicht trotz eines
stark gedrückten Honorars - sein Mandat auch bezüglich Erdbebensicherung
ernst nimmt, muss er meist in das Tragwerk noch schlecht und recht zusätzliche
Tragelemente wie Wände usw. für die Aufnahme der Erdbebenkräfte
einbringen. Dies ist allerdings konfliktreich, denn die Tragelemente kommen
fast überall der bereits erfolgten Einteilung und Nutzung der Räume
in die Quere. Und schon bei schwachen Erdbeben mit entsprechender Tragwerksverformung
auftretende Schäden an den nichttragenden Bauteilen infolge falscher
Materialwahl (z.B. spröde brechende Wände) kümmern den Ingenieur
meist nicht, weil er auftragsgemäss nur für das Tragwerk zuständig
ist.
Dieses
Vorgehen bewirkt unweigerlich beträchtliche Mehrkosten - möglicherweise
im Prozent-Bereich der Tragwerks- oder gar Gebäudekosten - und oft
ohne dass dies dem Bauherrn überhaupt bewusst wird. Doch trotz der
Mehrkosten ergibt sich eine bezüglich Erdbebensicherheit schlechte
Lösung, weil die oft mühsam erstrittenen zusätzlichen Tragelmente
von einer optimalen Wirkung weit entfernt sind. Dieses krass unzweckmässige
- wenn auch immer noch häufig praktizierte - Vorgehen bezeichnet der
Verfasser in seinen Vorlesungen als«Nacheinander-Entwurf».
Architekt und Ingenieur nacheinander, Tragwerke für übliche Lasten
und Erdbebenkräfte nacheinander.
Artikel
von Professor Dr. sc. techn. Hugo Bachmann, Leiter der Gruppe für
Baudynamik und Erdbebeningenieurwesen am Institut für Baustatik und
Konstruktion an der ETH Zürich
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Quelle:
Text Schweizer Gesellschaft für Erdbebeningenieurwesen und Baudynamik SGEB |
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